Camping in Kanada: zweiter Tag, erster Bär

 

zweiter Tag, erster Bär

Bär im Beerenrausch: Dieser braune Schwarzbär – die meisten vermeintlichen Braunbären im Waterton-Lakes-Park sind eigentlich Schwarzbären – ist vor allem mit Fressen beschäftigt. Dass er eine Touristenattraktion ist, scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren

„Nichts geht über Bärenmarke, Bärenmarke zum Kaffee.“ Gelächter. „Hier kommt der Hustinetten-Bär, hollar-hi, hollar-ha…“ Noch mehr Lachen. „Mensch, Dirk, mir scheint, du hast euch mit dem Trip in die Einsamkeit Kanadas einen Bärendienst erwiesen.“ Meine Kolleginnen und Kollegen können sich jetzt kaum noch halten vor Lachen…

Es ist mein letzter Arbeitstag. Ich habe ein paar Flaschen Cremant gekauft, um mit den noch übrig gebliebenen – in Hamburg sind Sommerferien, ein Großteil der Redaktion ist im Urlaub – anzustoßen. Ich werde sie erst nach meiner Auszeit wieder sehen, im Januar nächsten Jahres. Und als ich ihnen erzählte, dass unsere erste Reise nach Kanada führt, weil wir in den Rocky Mountains wahre Abgeschiedenheit erleben wollen, da bezweifelten meine Kollegen, dass wir uns überhaupt wieder sehen. „Ihr wollt im Bären-Land Einsamkeit suchen, nicht dass man nachher euch suchen muss.“ Jeder meiner Kollegen konnte eine bärige Gruselgeschichte zum besten geben. Schließlich gab es einen Bärenkalauer nach dem anderen. Ein lustiger Abend, an den ich mich gern erinnere, obwohl ich bei zunehmend gelöster Stimmung auf immer blutrünstigere Art und Weise zum Bärenopfer wurde.
 Bär im Beerenrausch  Bären- und Pumawarnung auf dem Zeltplatz
Warnung vor Pez und Puma: Das Schild am Campground im Waterton National Park soll nicht Angst machen, aber vor Unbedarftheit warnen: Keine Lebensmittel mit ins Zelt nehmen, Bären haben sehr gute Nasen…

Die Scherze sind Wasser auf die Mühlen unserer Ängste. Seit Tagen versuchen Susanne und ich uns Klarheit zu verschaffen, wie groß das Risiko ist, in Konflikt mit Bären zu geraten. Susanne hatte mal gesagt, dass sie sich davor fürchte. Ich hatte die Bemerkung gekontert mit wegwerfender Handbewegung und der Behauptung, dass diese Bärengeschichten doch Horrormärchen seien. Zum „Beweis“ schnappte ich mir das iPad und tippte ein: „bear attack“. Und musste schlucken. „Bär greift Joggerin in Vancouver an“, „Mann von Hund vor Bären gerettet“, „Frau von Bären zerfleischt“ so lasen sich die Schlagzeilen, und mehrere Links führen zu Youtube, ein Grizzly bedroht eine Gruppe von Anglern, in einem Vorgarten prügeln sich zwei Schwarzbären, man sieht sie hinter einer Hecke kämpfen, pelzige Darsteller eines Live-Slapsticks. Doch alles andere als ein Gag für jemanden, der gerade eine Bärenphobie ausbrütet.

Beim zweiten Lesen zeigt sich aber, dass viele Schlagzeilen schon älter sind. Und in einem Wikipedia-Eintrag heißt es, dass in Nordamerika – USA und Kanada – pro Jahr etwa drei Menschen bei Bärenattacken ums Leben kommen. Zum Vergleich: Hundebissen fallen etwa 15 Nordamerikaner zum Opfer, rund 90 kommen in Gewittern um, 45.000 (!) lassen im Straßenverkehr ihr Leben. Wer will sich da noch vor Bären fürchten? Das Thema schien abgehandelt. Zumindest sprachen Susanne und ich nicht mehr darüber. Aber wir konnten zu dem Zeitpunkt ja auch nicht wissen, dass wir in den Rocky Mountains bereits auf dem Weg zum Zeltplatz einem Bären begegnen würden. Und dass auf dem Campground, auf dem wir die ersten Nächte verbringen werden, sogar eine Bärenwarnung aushängt: Zwei Tage vor unserer Ankunft hat ein Schwarzbär zwischen den Zelten nach Futter gesucht. Und das offenbar in Begleitung eines Pumas, denn auch eine „Cougar Warnung“ ist für den Campground akiv. Darüber später mehr.

noch mehr Bären  Absperrung wegen Bärenwarnung
Eigentlich sind Bären an Menschen nicht interessiert. Aber eine Begegnung am ungünstigen Ort kann durchaus böse enden. Ein Mountainbikeweg im Peter-Lougheed-Park musste gesperrt weden wegen „bear activity“

Nach Kanada führt also unsere erste Reise, ihr Thema ABGESCHIEDENHEIT. Wir wollen ein paar Tage an einem Ort verbringen, ohne Telefon und Internet. Unsere Reise in Einsamkeit beginnt mit ein paar Übungstagen auf einem Campground im Waterton-Lakes-Nationpatk in Alberta. Später machen wir uns auf eine Trekking-Tour zu einer Hütte des Alpine Club of Canada. Die „fryatt hut“ liegt 24 Kilometer von der nächsten Straße entfernt, immerhin ein Tagesmarsch. Zurück von unserem Hüttenabenteuer fahren wir mit einem Wohnmobil nach Vancouver und werden immer wieder anhalten an Orten, die den Zauber der Einsamkeit bieten.

Anfang September kommen wir aus Kanada zurück nach Lissabon. Für Portugal haben wir uns das Thema LANGSAM REISEN ausgesucht, wir wollen so viel Zeit an einem Ort verbringen, dass sich mal wieder ein Gefühl einstellt, dass schon lange vergessen schien – Langeweile.

Im Oktober begeben wir uns dann auf die Suche nach der Spiritualität. Das Ziel für diese Reise stand schon länger fest: der Himalaya. Doch wohin da genau, das gestaltete sich schwierig: Bhutan scheiterte. Indien funktionierte nicht Und so sieht es jetzt so aus, als würde uns die spirituelle Reise nach Nepal führen. Das Reiseziel für das Thema EINMAL IM LEBEN wird, so denn alles klappt, die Antarktis sein, die Kreuzfahrt mit der Bremen startet im November. Ob wir tatsächlich an Bord der „Bremen“ gehen dürfen, hängt noch von ein paar Formalitäten ab, wir drücken uns die Daumen. Den Abschluss macht eine REISE ZU DEN TIEREN“, das Ziel dafür: Kangaroo-Island vor der Küste Australiens.

Meister Petz

  Bären-Jam in Waterton National Park  beste Plätze zum Bären beobachten
Guckt der Teddy so süß aus der Wiese, stauen sich am Straßenrand die Autos der Touristen. Als solche gelten für die Einheimischen aus Waterton auch die Bewohner der rund 250 Kilomter entfernten Stadt Calgary. „Bear Jam“ nennt man die Autoschlangen, die entstehen, wenn die Fahrer zum Fotografieren anhalten 

Doch jetzt erstmal Kanada. Als Trainingslager für die Hütten-Einsamkeit dient ein Campground im Waterton Lakes National Park. Er markiert den Übergang zwischen Prärie und Bergwelt. Auf der einen Seite gibt es weite Weideflächen, man hat das Gefühl, hunderte von Kilometern in die Ferne sehen zu können, auf der anderen erheben sich schroff die Rocky Mountains, waldreich, von Tälern mit Flüssen und Seen durchzogen. Eine Landschaft, so pittoresk wie unbekannt, selbst viele Kanadier kennen den Park an der Grenze zu den USA nicht. Wir bauen unser Zelt am Rande der Wildnis auf, es steht allein im Wald, aber doch nicht einsam. Denn zwischen Bäumen wohnen noch andere Camper in ihren Zelte und Wohnmobilen.

Und schon zu Anfang unserer Auszeit müssen wir uns unseren Ängsten stellen: Die Bären sind los.