Meine Reise in die Philippinen: Dem Taifun ganz nah – doch der Haiyan-Katastrophe verdammt fern

Während ich in eines der schönsten Länder der Erde fliege, nähert sich der Monster-Taifun. Zwei Tage nach meiner Landung in Manila wütet Haiyan über den Philippinen. Wir reisen dennoch weiter nach Palawan. Wir erkunden die Inselgruppe, die nach dem Sturm ohne Internet ist. Zurück in der Hauptstadt ergänzt sich die Freude über eine großartige Zeit in den Tropen mit der Trauer über ein großes Unglück. Eine Geschichte darüber, wie man zum falschen Moment am rechten Ort sein kann 

von Dirk Lehmann

der regen zieht auf

Eine graue Wand über dem Wasser: Da kommt eine Regenfront über das Meer

Subasko heißt das Phänomen im Philippinischen. Es ist typisch nach einem Taifun. Und es geht schnell: Erst kommt der Regen, er ist seicht und warm. So ist er hier oft, und tatsächlich sieht man auf Palawan hin und wieder Frauen, die sich in einem solchen Guss die Haare waschen.

Doch dieser Regen ist anders. Schnell nimmt er an Intensität zu, der Wind wird stärker. Während die Gäste des idyllisch auf einer einsamen Mini-Insel vor der Provinzstadt El Nido gelegenen Resorts zum Mittagessen sitzen, stürzen plötzlich unglaubliche Wassermassen vom Himmel. Der Horizont scheint sich aufzulösen, Gewittergrollen, Blitze. Hektisch lassen die Hotel-Angestellten die Bast-Rollos herunter. Die sind der einzige Schutz für die offenen Räume gegen das Unwetter. Der Wind nimmt weiter zu, hilflos wuseln die Hotelangestellten mit Handtüchern gegen das Wasser an.

der Sturm wird angekündigt   im Fernsehen wird darüber berichtet
Die Vorboten einer Naturkatastrophe: Monster-Taifun Haiyan in den Medien

Ein Subasko verhält sich zum Taifun wie ein Nachbeben zum Erdbeben. Mit gnadenloser Präzision folgt es der Katastrophe und erwischt die ohnehin Schutzlosen. Subasko ist ein Wort, das ich in den vergangenen Tagen in den Philippinen gelernt habe. Der andere Begriff, den ich hier meinem Wortschatz hinzufügen muss, heißt Monster-Taifun. Der hat aus einer organisierten Traumreise einen Trip gemacht, der das Potential hat zu traumatisieren. Und doch ist es auch ein learning, diese Normalität zu leben.

Pressereisen ermöglichen es Journalisten, eine Destination kennen zu lernen, selbstverständlich verbunden mit der Hoffnung, dass möglichst positive Berichte Werbung für das Land, bzw. Hotel machen. Ich habe mich gefreut, als mich das Fremdenverkehrsamt der Philippinen, die Fluggesellschaft Ana und die Hotelgruppe Peninsula als einen der wenigen Journalisten und einzigen Blogger auf eine Reise nach Manila und Palawan eingeladen haben, besonders die mythisch-schöne Insel im Westen des Landes steht schon lange auf meiner Bucket-List.

anfangs begnügt man sich noch mit einem Schirm

Anfänglich genügt ein Schirm…

Doch bereits als sich die sieben Teilnehmer der Pressereise am Frankfurter Flughafen treffen, gibt es ein Thema, das vorher auf keiner Liste stand: der Taifun. Vor der Küste des Landes braut sich ein Monstrum zusammen. Und anfangs reagieren wir wie alle Reisenden, wir sorgen uns vor allem um die bevorstehende Reise. Wird der Sturm sie etwa beeinflussen oder gar Teile davon unmöglich machen?

Als wir in Manila landen und uns nach fast 22 Stunden Flug über Tokio in unseren Hotelzimmer frisch machen für ein schnelles Abendessen, liegt auf dem Tisch eine Ausgabe des Philippine Star. Die Titelseite zeigt links die Bikini-Schönheit Arielle und rechts die Schlagzeile: „Monster-Taifun zieht in Richtung Visayas“. Die ist die mittlere der drei Inselgruppen, die die Philippinen prägen, im Norden liegt Luzón mit der Hauptstadt Manila, im Süden Mindanao. Insgesamt besteht der Staat aus mehr als 7000 Inseln, die sich über fast 2000 Kilometer erstrecken.

Platz 3 auf dem Weltrisiko-Index

Während des Essens sprechen wir unsere Gastgeber auf den Taifun an. Doch die Philippinos winken ab, Tenor: So viele Stürme zögen Jahr für Jahr über das Land, das lasse die Menschen hier kalt. Wenn es auf der Welt ein Land mit Unwetter-Erfahrung gebe, dann seien es die Philippinen.

Es stimmt. Kaum ein Land der Erde wird so oft von Naturkatastrophen heimgesucht wie die Philippinen. Unzählige Tropenstürme und Taifune rasen jährlich über die Inseln hinweg, in manchen Regionen gehen dabei unfassbare Regenmengen nieder, mehr als 4000 Millimetern pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Hamburg bringt es auf ca. 750 mm, Bergen in Norwegen, das als regenreichste Stadt Europas gilt, auf 2500 mm. Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche – im World Risk Report, dem Weltrisiko-Index, belegen die Philippinen den dritten Platz – hinter Vanuatu und Tonga. Und sind doch ein Reiseziel, nicht weniger gefährlich als Dubai oder Ägypten.

dann wehren sich alle gegen die Wassermassen

die Wassermassen dringen überall ein

…später wehrt man sich mit Händen und Füßen gegen die Wassermassen

Anfangs sind die Dimensionen von Haiyan noch unklar. Zwar heißt es, der Wind erreiche Geschwindigkeiten von mehr als 250 Km/h. Aber an Palawan werde der Taifun wohl vorbei ziehen. Wir verhalten uns wie sich Reisende verhalten, die sich lange auf eine Reise gefreut haben und die jetzt gefährdet sehen: Wir hoffen, dass alles glimpflich ausgeht. Am Tag als der Sturm die Inseln Leyte und Cebu trifft, bin ich mit einem Guide in der Stadt unterwegs. Ich recherchiere in Manilas Chinatown, mache eine Tour durch Garküchen und Restaurants, spreche mit Köchen und genieße das traditionelle Essen. Es sind wundervolle Erfahrungen, intensiv, persönlich.

Auch über den Sturm wird oft gesprochen. Aber die Menschen wirken entspannt. Als würden sie die Warnungen nicht so ernst nehmen. Der Himmel ist grau, es regnet hin und wieder. Mehr nicht. Und als ich zurück im Hotel abends erste Fernsehbilder aus Tacloban sehe, zeigen die sich biegende Palmen und abhebende Wellblechdächer. Noch gibt es kaum Infos über Tote oder Verletzte. Der Sturm ziehe nun weiter nach Vietnam heißt es. Wir beschließen unsere Reise fortzusetzen – und fliegen am nächsten Tag nach Palawan.

Ein Paradies ohne Internet

Die langgestreckte Insel erweist sich als das Paradies, als das ich es mir immer vorgestellt habe. Schroffe Berge, bedeckt von dichtem Regenwald. Temperaturen um 30 Grad. Hin und wieder wieder fegt ein Gewitterschauer über das Land. Wir besuchen besondere Orte, etwa den Underground River in einem langgezogenen Höhlensystem, wir fahren in ein community-based-tourism-project, und wir kreuzen mit den traditionellen Ausleger-Booten zu einigen der charakteristisch erodierten Karst-Inseln. Auch was die Kommunikation betrifft, ist Palawan paradiesisch – der Sturm hat offenbar einige Antennenmasten zerstört. Das Mobilfunk-Netz ist eingeschränkt, Internet vielerorts nicht verfügbar. Die Resorts haben keine Fernseher. Wir fühlen uns abgeschnitten von der Welt. Es ist wunderschön, vom Taifun nichts zu sehen, nichts zu spüren.

das Hotel-Team begrüß alle Ankömmlinge   Mitarbeiterinnen eines Restaurants

Frauen und Wasserbüffel   Musiker auf der Terrasse
Ein lohnendes Reiseziel: die Menschen der Philippinen

Mit dem Subasko holt uns die Wirklichkeit ein. Die Einheimischen hatten gewarnt, das Meer sei so ungewöhnlich ruhig. Man müsse mit einem starken Tiefdruck-Gebiet rechnen, das sei typisch nach einem Taifun. Und tatsächlich kippt das Wetter. Dennoch erreichen per Boot neue Gäste das Resort, durchgeschüttelt und pitschenass. Wir kommen ins Gespräch – eine stürmische Überfahrt, die Urgewalten der Natur, der Sturm, ein Landstrich wurde verwüstet, Zehntausende sind obdachlos. Es gebe Tausende Tote.

Was ein Gefühl: Du hast gut gegessen und getrunken, hast gelacht und die Schönheit des Landes erlebt, dessen Einwohner kaum 400 Kilometer entfernt ums nackte Überleben kämpfen. Und während sich manche Medien gegenseitig mit Opferzahlen zu übertrumpfen suchen, tut es mir um jeden einzelnen leid. Ich bin nur ein paar Tage hier gewesen und habe doch ein Herz entwickelt für dieses Land. Für mich geht es um Individuen nicht um Fälle, die als Schlagzeile taugen.

Weihnachten wird ein anderes Fest

Zurück in Manila erstrahlt die Stadt im Lichterglanz, die Weihnachtsdekorationen sind aufgebaut. Die Philippinos lieben Weihnachten und beginnen bereits Mitte September mit den Vorbereitungen. Leuchtende Weihnachtsmänner, Stiefel, Rehe, Schlitten. Doch in diesem Jahr wird das Fest unter einem anderen Stern stehen.

Als ich zum ersten Mal wieder meinen Computer ans Netz anschließe, ergießt sich ein Tsunami der Sorge über mich: Familie und Freunde wollen wissen, ob es mir gut geht. Und erst langsam begreife ich, dass wie so oft bei der Berichterstattung über Umweltkatastrophen, die Leser denken, das ganze Land sei betroffen. Dabei hat Haiyan nur rund vier Prozent der philippinischen Landmasse berührt. Ich schreibe unzählige E-Mail, dass es mir gut geht, dass die ein wunderschönes Land ist, dass ich wieder kommen werde.

Und doch beschäftigt mich noch eine andere Frage: Hätten wir als Journalisten etwas anders machen können, anders machen müssen? Aus reiner Sensationsgier in die betroffenen Regionen zu reisen (was anfangs gar nicht möglich war und erst jetzt vom Militär organisiert wird), wäre kaum hilfreich gewesen. Geld gespendet zu haben, ist eher eine Selbstverständlichkeit, ein Mini-Dankeschön an die Menschen dieses Landes.

Aber wir können etwas tun: Unsere Leser ermutigen, die Philippinen zu besuchen. Wir können ihnen zu rufen: Reist nach Manila, fliegt nach Palawan, esst mit May (siehe unten), singt mit Mitch, wandert mit Allan, besucht Win-Win. Unterstützt dieses Land. Es wird euch nicht nur danken.

Es wird euch viel zurück geben.

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Die Portraits zeigen Menschen, denen ich während meiner Reise in Manila und auf Palawan begegnet bin. Oben: Das Abschiedskommitee des Miniloc-Resorts in Palawan, die Dim-Sum-Meisterinnen in Manilas Chinatown, der musikalische Shuttleservice am Flughafen von El Nido, die Musiker des Miniloc-Resorts. Unten: May aus der Wellness-Abteilung des El Nido Resorts, eine freundliche Putzkraft der China Plaza Shopping Mall, Richard mit seinem platten Rennrad am Stadtrand von Manila, und der Fahrer eines Jeepneys.

Mitarbeiterin mit Schirm   kurz vor Weihnachten

  freundlicher Busfahrer