Tatsuo Miyajima, Time in Water
Ideologie des Tempos: „Wenn Beten im Kommunizieren mit dem Göttlichen besteht, so ist Fortbewegung in großer Geschwindigkeit ein Gebet. Heiligkeit des Rades und der Schienen. Man muss auf den Schienen knien, die göttliche Geschwindigkeit anzubeten.“ Diese drei Sätze sind ein Auszug aus dem futuristischen Manifest, dessen Verfasser heißt Filippo Tommaso Marinetti. Geschrieben hat er diese Zeilen im Jahr 1916. Noch während des Ersten Weltkriegs hielten sich Marinetti und seine Anhänger für eine Elite, sie vergötterten den technischen Vorsprung und lehnten die Natur ab. Sie veranstalteten futuristische Abende, erarbeiteten futuristische Sonderausstellungen – sie predigten den Sieg der Technik über die Natur.
Christian Marclay, Telephones
Heute, rund 100 Jahre später, erscheinen uns die Futuristen seltsam fern. Wir wissen, dass sie voller Enthusiasmus in den 1. Weltkrieg gezogen sind, dass sie mit dem Faschismus von Mussolini kokettiert haben, bis sie kapierten, dass die Rechten viel zu blöd waren, ihre feinsinnige Spielerei mit der Technik mitzutragen. Und inzwischen, so manche Umweltkatastrophe später, erscheint einem die Fortschrittsgläubigkeit der Futuristen selbst naiv.
Ich bin ihnen am Wochenende begegnet, im Kunstmuseum Wolfsburg werden die Futuristen im Rahmen der Ausstellung „Die Kunst der Entschleunigung“ kurz gewürdigt. Die Anhänger der Zukunft markieren mit ihrer Sehnsucht nach Tempo und Moderne quasi die extreme Gegenposition zu einer Geisteshaltung, die die Gegenwartsgesellschaft prägt – der Wunsch nach Aussteigen, Ausbrechen, raus aus dem Hamsterrad. Die Ausstellung bietet eine interessante Reise in die Kultur des Innehaltens. Am meisten gefallen hat mir eine Installation, die die Anzeigetafel im Flughafen karikiert, doch statt Zielorte und Abflugzeiten darzustellen, bleibt die Anzeige immer schwarz. Zum Klack-Klack-Klicker-di-Klack des Anzeigenwechsels wird die Welt konsequent ausgebremst.