Frangipiani in Thailand

Von Zweien die auszogen, sich zu entschleunigen

Typischer Kabelsalat in Bangkok  Berlin Biennale 6

Kabel-Baum und Weiß-Raum

Sabbatical, Auszeit, Achtsamkeit, Innehalten. Während Dirk und ich unseren Tag planen, frage ich: „Sag mal, wenn wir statt mit dem Fahrrad zu fahren, zu Fuß zum Markt gehen, ist das schon Entschleunigung?“ Ich gehe gerne. Dirk liebt es, aufs Rad zu steigen. Und deshalb überrascht es nicht, dass er mit einer Gegenfrage antwortet: „Oder ist es nur Zeitverschwendung?“

In der Vorbereitung auf unser Sabbatical wollen wir uns auf verschiedene Weise dem Thema Auszeit nähern, auch über Entschleunigung im Alltag. Ein aufschlussreiches Experiment machten wir, als wir statt „so schnell wie möglich“ mit maximal 120 Stundenkilometern von Berlin nach Hamburg fuhren – die „langsame“ Fahrt kam mir vor wie ein Urlaubstag.

Diesmal geht es mir nicht um eine neue Versuchsanordnung. Ich möchte einfach ganz bewusst nur eine Sache tun. Nicht möglichst schnell das Ziel erreichen und dabei noch einen Abstecher zur Reinigung zu machen, um die Zeit möglichst effizient zu nutzen. Denn Effizienz suggeriert, dass es sinnvoll und nicht sinnvoll genutzte Zeit gibt. Als wären ineffiziente Phasen verschenkte Momente. Da bleibt kaum Raum für die Muße, der vermeintlichen Vergeudung von kostbarer Zeit für überflüssiges wie Tagträumen.

Frangipiani in Thailand

Über das Phänomen der gefühlt immer schneller werdenden Gesellschaft ist viel geschrieben worden, wie Smartphones den Feierabend und den Urlaub beeinflussen, und wie sich die Menschen beklagen, immer weniger Zeit zu haben. Viele Studien belegen, dass diese Umstände krank machen können, Burnout und Depression als Volkskrankheiten zierten die Titel verschiedener Magazine. Offenbar eint viele Menschen ein Wunsch, sie wollen innehalten.

Der Begriff der Entschleuning wurde von Jürgen vom Scheidt geprägt, einem deutschen Schriftsteller und Psychologen, der ein Kapitel in seinem Buch „Singles – Alleinsein als Chance“ von 1979 so benannte. Er selbst meinte, den Begriff schon 1973 erfunden zu haben, als notwendigen Ausgleich zur ständig zunehmenden Beschleunigung des Lebens in der modernen (westlichen) Zivilisation.

Über das Ziel der Entschleunigung kann man bei Wikipedia lesen, dass es „nicht um Langsamkeit als Selbstzweck gehe, sondern um angemessene Geschwindigkeiten und Veränderungen in einem umfassenden Sinn: im Umgang mit sich selbst, mit den Mitmenschen und mit der umgebenden Natur.“ Was hier beschrieben wird, lässt sich auch unter dem Begriff Achtsamkeit fassen. Wer Dinge langsam und achtsam angeht, kann sich darauf konzentrieren und bekommt dadurch mehr von dem mit, was man gerade tut.

Der Verein zur Verzögerung der Zeit hat sich diesen achtsamen Umgang zum Ziel gesetzt. Dirk hat den Vorsitzenden in seinem Beitrag zur Muße bereits zitiert. Der Verein will darauf hinweisen, dass wir uns oft nicht genug Zeit nehmen, „reife“ Entscheidungen zu treffen und deshalb unsere Zeit häufig mit dem selbstverursachten Krisenmanagement verbringen.

pssst  Kirchenkuppel in Malta

Doch warum nehmen wir uns nicht die Zeit? Laut Verein zur Verzögerung der Zeit genügt nicht die häufig als Antwort auf diese Frage bemühte Erklärung, es seien die Umstände. Vielmehr gebe es „heutzutage in vielen Bereichen eine hektische Betriebsamkeit, die ins Ziellose geht.“ Und dieser Aktionismus habe etwas zu tun „mit der Flucht vor den wahren Problemen und der Furcht vor einer ungewissen Zukunft. Den blinden Aktionismus hat es in der Geschichte immer wieder gegeben, zum Beispiel wenn Gesellschaftssysteme auseinanderbrachen und traditionelle Werte nicht mehr galten.“

Gibt es einen Ausweg? „Mit dem gleichen Denken, das dieses Problem (Zeitstress) hervorgebracht hat, kann man nicht das Problem lösen“, so der Zeit-Verein. Und weiter: „Wir können nur in einem langen Umlernprozess (der bei vielen Menschen erst mit der Krankheit einsetzt) alte Denkmuster ent-lernen, um neue Zeit-Auffassungen lernen zu können. Voraussetzung dabei ist, dass wir wieder selbst die Regie über unsere Zeit übernehmen können und Wege finden, wie wir weniger oder gar nicht mehr `getrieben´ werden.“

Achtsamkeit ist in vielen Religionen mehr als der bewusste Umgang mit sich selbst und seiner Umgebung, es ist ein Weg zum Verständnis des Göttlichen. Der Benediktiner-Pater Anselm Grün hat über das Gebet und die Kontemplation verschiedene Ratgeber geschrieben, solche Exerzitien können zu einer Möglichkeit werden, das tägliche Leben aus einer spirituellen Quelle heraus zu leben. Im Buddhismus ist Achtsamkeit Grundlage des Pfades zur Erleuchtung.

Ich bin gespannt, wie sich die Muße, die wir während des Sabbaticals erleben werden, auf uns auswirken wird: Gehen wir dann immer zu Fuß zum Markt? Heute haben wir uns aufgeteilt, ich bin gegangen, Dirk ist geradelt. Als ich mit dem Obst zurück kam, war er dabei, sein Fahrrad zu putzen. Wir haben uns beide Zeit genommen für die Dinge, die uns wichtig waren. Das hat sich gut angefühlt.