Klasse Kameraden: Dirk und Guide Som auf dem Hof einer Grundschule in Monjo. Die hat von der Deutschen Nepalhilfe in Stuttgart eine neue Toilette gestiftet bekommen
Ein Reisebericht von Susanne Baade und Dirk Lehmann
Für ein Kompliment habe ich es gehalten als mir unser Guide sagte, dass mich die Sherpa im Restaurant des „Namche Hotels“ angeblich „Mammut-Man“ nennen. Ich dachte, weil ich groß und breit bin und mit 1,92 Metern die kleinen und schmalen Angehörigen des Bergvolks rund um das Himalaya-Dorf Namche-Bazaar deutlich überrage. Zudem zeigt meine Ausrüstung das Symbol des ausgestorbenen Ur-Elefanten. Doch Som sagt, nicht nur Kleidung und Größe sei der Grund. Der Spitzname habe zwar mit Jacke und Hose, Schuhen und Mütze zu tun, die von Mammut sind. „Vor allem aber faszinieren Haare und Bart. Du bist grau-schwarz wie Mammut.“ Und er kichert ein kleines keckerndes Nepali-Lachen.
Schon öfter bin ich in Asien für meine Haare aufgezogen worden. Grauhaarige gelten hier entweder als Opas oder weise Männer. Und dass letzteres auf mich nicht zutrifft, scheint man sofort zu erkennen. „Mammut-Man“ ist neu für mich. Kurz denke ich darüber nach, ob ich lieber Yak-Boy oder Yeti-Guy heißen würde. Doch eigentlich ist es okay so, denn der Spitzname steht auch für meinen Part unserer Paar-Reisen. Ich will in der Einsamkeit Kanadas wohnen. Ich will in die Antarktis reisen. Ich will auf 4000-Metern Höhe stehen. Ich will den Mount Everest sehen. Ich will all diesen Männer-Blödsinn machen, also irgendwie eher Mammut sein (Okay, aussterben will ich aber nicht).
Tierbesuch am Mount Everest: Krähe links, Mammut-Man rechts
Worte, die man berühren kann: In vielen Orten in der Khumbu-Region findet man Mani-Steine wie diesen, in die buddhistische Gebetsformeln eingraviert sind
Susanne will die Orte, die wir bereisen, nicht nur sehen sondern auch spüren, will deren Präsenz vor allem fühlen. Möchte ich manchmal weiter, das Ziel des Tages vor Augen, hält sie inne, um für einige Minuten die Aura einer Landschaft auf sich wirken zu lassen. Die Kraft der Berge. Sonne. Wind.
Seit der Sache mit dem Supermarkt, nenne ich Susanne Empathie-Girl: Während wir in der Lobby des Hotels auf unseren Transfer warten, bekommt sie Hunger und sagt, sie gehe kurz einkaufen. Unser Hotel liegt in Thamel, einem Stadtteil, der ganz gut lebt von den Besuchern, die Kathmandu anzieht. Und doch gibt es auch viel Armut in Thamel, ständig wird man angebettelt, gibt anfangs etwas, sagt später freundlich „Nein“, und geht bald nur noch mit gesenktem Kopf weiter. Einer allein kann diese Welt nicht retten.
Susanne hat sich eine Packung Cracker gekauft. Die Box enthält acht kleinere Pakete mit jeweils acht Crackern. Als sie mit ihrem Einkauf den Laden verlässt, wird sie von einem Jungen angebettelt. Er habe Hunger. Susanne will hartherzig bleiben. Doch dann gibt sie dem Jungen eines der Päckchen. Und sieht, wie er in einem Hauseingang seine Beute mit anderen Straßenkindern teilt. Es reicht nicht für alle. Einer der Jungs geht leer aus. Susanne läuft zu ihnen und schenkt ihnen noch mehr Päckchen. Als sie mir, zurück in der Hotellobby erzählt, von ihrer Begegnung erzählt, ist sie den Tränen nahe. Diese Stadt kostet Kraft.
Hinterhofidyll in Kathmandu: Kinder spielen Fußball, ein Hund schläft an einer Stupa
Nepal berührt. Ständig gibt es Momente, die einen erschüttern. Und solche, die einen lächeln machen. Da kämpft man sich durch die Straßen, weicht Autos aus, wehrt aufdringliche Taxi- und Rikscha-Fahrer ab, geht wider alle Erfahrungen in einen schmalen Durchgang zwischen dunklen Häusern und betritt einen kleinen Platz. Kinder spielen zwischen Stupas Fußball, Frauen sitzen beieinander und schlecken Eis. Vor einem Ziegelstein-Haufen picken Hühner. Ein Dorfplatz mitten in der Metropole. Ein Ort der Ruhe.
Dann besuchen wir das Kloster Tengboche. Wir sind früh. Das Morgengebet ist gerade vorbei. Am Gipfel des Mount Everest hängt eine Wolkenfahne. Ein Mönch in roter Outdoor-Kleidung und in viel zu großen Turnschuhen betritt des Vorplatz des Klosters und verstreut Brotkrumen. Was er da tue wollen wir wissen. Er antwortet: „Ich füttere die Ameisen.“
Ein Herz für Tiere: Mit Brotkrumen füttert dieser Mönch die Ameisen von Tengboche