Indien: Refugium zwischen Himmel und Erde – das „Ananda in the Himalayas“

weißer Pavillon im Ananda Sonnenuntergang über dem Ganges-Tal
Ein strahlend weißer Pavillon in den Bergen, ein Sonnenuntergang wie ein Gemälde: Willkommen im „Ananda in the Himalayas“, unserem Rückzugsort für die nächsten Tage

Ein Reisebericht von Susanne Baade und Dirk Lehmann

Körper und Seele wieder vereinen. Das ist so ein Wellness-Bläh-Satz. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn einmal selbst sagen oder gar ernst meinen würde. Doch nach der körperlich anstrengenden und emotional durchaus herausfordernden Reise durch Nepal, nach den zehrenden Trekkings im Himalaya und den durchaus auch verstörenden Erlebnissen in den Tempeln der Hindus und Buddhisten, brauchen wir – so bekloppt es klingen mag – eine Auszeit von der Auszeit. Und wir gönnen uns einen Aufenthalt in einem Hotel, das ein Retreat sein will, ein Rückzugsort, eine Edel-Klausur. Wir überqueren die Grenze zwischen Nepal und Indien und checken ein in das „Ananda in the Himalayas“.

Affen am Straßenrand   Flussbett, dem der Monsun ordentlich zugesetzt hat
Affen hocken am Rand der Straße, der der Monsun übel zugesetzt hat 

Quatsch! Blödsinn! Man checkt nicht ein in das Ananda, es ist kein Hotel im klassischen Sinne, erst recht kein Wellness-Hotel. Man wird hier nicht einfach begrüßt, man wird aufgenommen. Man bekommt hier nicht einfach ein Zimmer, man tritt ein in eine andere Welt. Man zieht sich nach der Ankunft nicht einfach um, man legt seine Kleidung ab wie ein altes Leben – und knotet eine weiße Leinenhose um die Hüften, schlüpft in ein weißes Leinenhemd mit Knopfleiste und hängt sich die Rudraksha um den Hals, eine Kette wie ein Rosenkranz, die man während der Begrüßungszeremonie geschenkt bekommen hat (laut Legende weinte Shiva nach einer Meditation, seine Tränen formten die Samen für den immergrünen Rudraksha-Baum, 108 der Samenkapseln, von denen jede das Geheimnis der gesamten Evolution des Kosmos in sich trägt, formen eine Kette). Und schon gehört man zum Orden derer, die sich vor allem ein Ziel gesetzt haben – es soll mir gut gehen in den nächsten Tagen. Diese Zeit ist meine Zeit.

Im Eingang beschützen Elefanten die Rudraksha-Ketten
Im Eingang beschützen Elefanten die Rudraksha-Ketten, Begrüßungsgeschenk für jeden Gast

Die Anreise führt über den Flughafen von Dehradun. Da hält ein Fahrer ein Schild mit unseren Namen hoch und fährt uns in einem SUV durch einen Nationalpark – Schilder warnen vor Unfällen mit Elefanten –, durch die Pilgerstadt Rishikesh am Ganges und hinauf über eine windungsreiche, vom letzten Monsun arg zugerichtete, von Affen gesäumte Bergstraße in das auf 1100 Metern Höhe gelegene Resort. Es liegt direkt hinter einem Maharadscha-Palast mit Zinnen und Türmen, mit Springbrunnen und zwei Kanonen. Die goldgelbe Fassade leuchtet im weichen Abendlicht.

vom Flur des Hauptgebäudes geht der Blick in den Park   An den Wänden hängen Bilder der Ahnen des Maharadschas
Vom Flur des Haupthauses geht der Blick in den Park des Anandas. An den Wänden hängen Bilder der Ahnen des Maharadschas, auf dessen Grundstück das Resort steht

unser Outfit für die nächsten Tage
Sektenmitglieder? Hotelgäste! Der Leinenanzug macht eine Frage überflüssig: Was soll ich anziehen?

Von unserem Zimmer hat man einen wundervollen Blick über das Tal, dicht bewaldet sind die Berge, weit unter uns glitzert der Fluss, die Luft ist rein und mild. In einem normalen Wellness-Hotel würde man sich am Tag der Ankunft erst einmal ausruhen und dann zum Essen gehen. Nicht so im Ananda. Die Aufnahme endet erst nach der Anamnese durch den Ayurveda-Arzt. Der sitzt vor mir am Computer, tippt ein paar Angaben hinein und nimmt meinen Puls. Fünf Minuten fühlt er sich an, wie das Blut durch meinen Adern fließt. Dann sagt er mir: dass ich zu kalten Füßen neige, dass ich aufbrausend sein kann, dass ich nur wenig Schlaf brauche, dass ich zuletzt ein Problem mit der Verdauung gehabt habe (hat er die Imodium-Packung gesehen?).

großes Zimmer mit bodentiefen Fenstern   von der Badewanne aus blickt  man ins Tal
Zimmer 614: Balkon, bodentiefe Fenster und Tal-Blick auch aus dem Bad 

Am Ende bestimmt der Arzt mein Dosha: Ich bin ein Pitta-Typ, ein Feuer-Mensch, angeblich ehrgeizig und aufbrausend. Ich soll Yoga machen, meditieren, vorsichtig und vor allem langsam essen. Susanne ist ein Vata-Typ, ein Luft-Mensch, empfindsam und schnell erschöpft, sie braucht Ruhe und regelmäßiges Essen, das ihr Feuer anfacht. Und wenn wir ins Restaurant gehen, isst Susanne ihr anheizendes Vata-Menü, und ich bekomme ein runterkühlendes Pitta-Mahl.

Morgenstimmung am Atrium
Morgenstimmung am Atrium – auf dem Platz zwischen Bäumen trifft man sich zum Yoga

Doch bevor wir ganz und gar zu Novizen werden in diesem Wellness-Kloster haben wir noch eine Aufgabe zu erfüllen, eine besondere Aufgabe. Vor vielen, vielen Monaten haben wir eine ferne saubere Stadt besucht namens Vancouver. Dort brachte uns ein Taxi-Fahrer ins Hotel, der Inder war und Rishi hieß. Und als wir uns freuten über diese Koinzidenz, dass ausgerechnet wir, die wir bald nach Rishikesh reisen, in einem Taxi sitzen, dessen Fahrer Rishi heißt, zog der einen 20-Dollar-Schein aus seiner Tasche und bat uns, das Geld in Rishikesh dem Ashram zu spenden.

Abendstimmung in Rishikesh
Abendstimmung am Ganges – im Ashram am Fluss singt man „Hare Krishna“

Fahrt über den Ganges  Gläubige waschen sich im Fluss
Wasserstraße und Mythos: Fähren queren den Ganges, in dem die Gläubigen baden

 

beim Ganga Aarti wird eigentlich die ganze Zeit gesungen
Eher Konzert als Messe: Beim Ganga Aarti lauschen wir der Musik der Mönche

unser Taxi-Fahrer in Vancouver gab uns Geld für das Ashram mit   Susanne spendet das kanadische Geld
Rishi – hier unsichtbar am Steuer seines Taxis – fuhr uns zum „Four Seasons“ in Vancouver. Als wir ihm erzählten, dass wir in seine frühere Heimat nach Rishikesh reisen würden, da gab er uns Geld, mit der Bitte, es dem Ashram zu spenden. Zwei Monate und 11.000 Kilometer später stecken wir seine 20 Dollar in die Donation-Box

Und so lassen wir uns am Abend in den Ort fahren, um am Ganga-Aarti teilzunehmen. Jeden Sonnenuntergang zelebrieren die Mönche des Ashrams am Ganges mit einer Feuerzeremonie. Sie singen und musizieren, sie werfen Gewürze in die Flammen und verehren Kerzen auf Kobra-Leuchtern. Dazu singt Guru Pujya Swamiji die vedischen Mantras, die schon die Beatles verzückt haben. Und auch wenn die Veranstaltung eher ein Konzert ist als eine Messe, hat sie doch eine gewisse Würde. Rotgold versinkt die Sonne hinter dem Fluss.

Der Rauschebart am Kerzenständer ist Guru Puiya Swamiji
Feuerzeremonie am Fluss: Der Rauschebart am Kerzenständer ist Guru Puiya Swamiji, er hat eine schöne Sing-Stimme. Die Blondine in der Maria-Pose hat sie nicht alle

 

die beiden Inhaber vom Golden Bridge Yoga aus den USA   Susanne wirft Kräuter ins Feuer
Bei den beiden Turban-Trägern handelt es sich um Amerikaner, die mehrere Yoga-Studios betreiben, Susanne darf Kräuter in die Flammen werfen

viele hunderte Menschen kommen jeden Abend an den Ganges
Jeden Abend kommen Hunderte zur Ganga Aarti-Zeremonie an das Ufer des Ganges

Wir stecken Rishis Geld in die Donation-Box (Danke für dein Vertrauen!). Später treffen wir zwei Amerikaner, die beide Turban tragen, in Los Angeles ein Yoga-Studio betreiben, das Golden Bridge heißt, und fast schon ein Yoga-Konzern zu sein scheint, es gibt bereits mehrere Filialen. Die beiden haben sich neue Namen gegeben, sie nennt sich fürderhin Gurmukh, er hört auf Gurushabd, und fliegen als Yoga-Vortragsreisende um die Welt; allerdings nur Business-Class, wie Gurushabd erklärt. Und er sieht mich mildlächelnd an, als ich ihn frage, ob man sich als Yoga-Lehrer nicht besonders gut auf einem Eco-Sitz falten könne: „Business-Class-Tickets sind Teil unserer Geschäftsbedingungen.“ So zeigt der Besuch beim Ganga Aarti, wie routiniert und professionell das Erleuchtungs-Business inzwischen sein kann.

Erschöpft kehren wir zurück in unser Ashram auf dem Berg. Erneut gehen wir früh ins Bett. Am ersten Abend kam uns die Ruhe hier oben noch fremd und fern vor. Inzwischen aber fühlt sie sich an wie ein Teil von uns. Wir möchten sie nie mehr missen.

Blick auf Rishikesh
Abgehoben: Blick aus 1100 Metern Höhe
 auf Rishikesh und den Ganges