Vergangenheit im Nebel: Das Grab von Humayun war Vorbild für das Taj Mahal, die Moschee Qutb Minar wurde im 12. Jahrhundert errichtet – nach der Eroberung Indiens durch Moslems
Ein Reisebericht von Susanne Baade und Dirk Lehmann
Das Flugzeug setzt zur Landung an, sirrend verstellen sich die Tragflächen, rumpelnd faltet sich das Fahrwerk aus, und doch ist von der Stadt unter uns nichts, aber auch gar nichts zu sehen. Eine Metropole im Smog, 16 Millionen Menschen unsichtbar. In Delhi endet unser Sabbatical in Nepal und Indien, von hier reisen wir weiter nach Südamerika und in die Antarktis. Doch bevor wir ins ewige Eis fahren, geht es in den warmen Winter der indischen Hauptstadt. Es ist früher Nachmittag, und die Sonne klebt im Himmel wie die schwache Funzel in einer verrauchten Kellerbar.
Über die Ursachen der Luftverschmutzung streiten die Inder. Die Bürgermeisterin Delhis macht die umliegenden Gemeinden verantwortlich, weil da die Bauern noch immer Stroh, Holz und Müll verbrennen. Die meisten Wissenschaftler verweisen auf den unkontrolliert wachsenden Straßenverkehr, mehr als 1000 Fahrzeuge werden pro Tag neu zugelassen. Jedenfalls, so FAZ-Autor Jochen Buchsteiner, haben die Bewohner Delhis seit Wochen keine Schatten mehr.
Beliebtes Sightseeing-Ziel, besonders bei Indern: das India Gate
Auch wir werden in die Smog-Affäre hinein gezogen. Beim Sightseeing stellt sich uns am India Gate ein Team von India TV in den Weg. Reporter Abhishek Pandey will wissen, was wir über „das Klima“ denken. Kaum richtig angekommen, kaum vertraut mit dem Phänomen, können wir nur sagen, schade, dass man vor lauter Smog nix sieht, schön aber, dass es so warm ist. Wie denn die Temperaturen in Deutschland jetzt seien, fragt Abhishek. Einstellig antworten wir. Winter und Kälte finden die Inder offenbar sexy, der Reporter lässt ab vom hässlichen Thema Smog und will wissen: Habt ihr schon mal Schnee gesehen?
Der Verkehr in Delhi ist mörderisch. Anders als in Kathmandu haben die Straßen zwar eine Fahrbahnmarkierung, es sind Spuren aufgemalt. Doch niemand hält sich daran. Es fahren so viele Autos nebeneinander wie nebeneinander passen, und dann quetscht sich noch eine Rikscha dazwischen. Überhaupt gibt es einige Parallelen zur Hauptstadt Nepals: Auch hier türmt sich der Müll am Straßenrand, schlafen Menschen auf dem Grünstreifen in der Mitte einer sechsspurigen Straße, klopfen an roten Ampeln die Bettler gegen die Autoscheibe.
Und doch sind wir ganz aufgekratzt. Delhi ist modern, seine Dynamik und Lebensenergie ist deutlich spürbar. Und ansteckend. Wir haben Lust auszugehen. Vom Concierge unseres Hotels lassen wir uns Kinokarten besorgen und stehen später vor einer Shopping-Mall, die aussieht wie Einkaufszentren eben so aussehen. Doch die Sicherheitsauflagen sind hoch, zwei Kontrollen passieren wir, bis wir uns durch die berstend vollen Flure schieben, es ist fast 22 Uhr, offenbar überlassen die hippen Bewohner Delhis ihre enge Altstadt den Touristen und Bauern aus dem Umland, sie selbst tummeln sich in den Malls. Dann sitzen wir in den bequemen Kinosesseln, es duftet nach fremdem Fastfood (gekochter Mais mit scharfer Sauce), und Adele singt das Intro zu „Skyfall“. Es wird ein langer Abend.
Ein Hotel wie ein moderner Palast: das Aman in Dehli. Die Zimmer haben einen eigenen Plansch-Pool. Das Sportbecken im Fitness-Club misst 50 Meter
Am nächsten Morgen planschen wir im Pool unseres Hotelzimmers und finden es schade, dass wir nicht länger in Delhi bleiben können. Das Becken misst zwei mal zwei Meter und hat eine Wassertiefe von 1,30 Meter. Wir lassen uns bis an den Rand treiben und blicken auf die Stadt, die sich schemenhaft im Dunst abzeichnet, auf das Hotel, dessen geradlinige Fassade aus hellem Sandstein auf geniale Weise die Ornamentik der Architektur des Delhi prägenden Moghul-Reiches aufgreift. Auch sonst beeindruckt uns das Aman mit seinem Understatement, mit dem 50-Meter-Pool im Fitness-Bereich und mit seiner Küche, in der ein froh gelaunter G.S.N. wirkt. Weil seine Eltern ihm extrem lange Vornamen gaben, hat er sie extrem verkürzt.
An diesem in jeder Hinsicht luxuriösen Ort endet unsere Reise durch Nepal und den Norden Indiens. Morgen geht es weiter. Wir werden um die halbe Welt fliegen und in Buenos Aires landen. Von da aus setzen wir mit der Fähre über nach Montevideo, wo unser nächster Themen-Trip beginnt – eine Expeditionskreuzfahrt in die Antarktis – eine Seereise in das Reich des Eises und Lichts.
Noch sitzen wir im Restaurant des Aman-City-Resorts und besprechen das Menü. Wir werden indischen Wein trinken, erst einen bemerkenswerten Chardonnay, der frisch schmeckt und sogar ein wenig perlt im Glas, dann einen kraftvollen Malbec. Als Vorspeise serviert G.S.N. einen würzigen Auberginenauflauf.
Dirk: „Wenn ich dich fragen würde, ob du noch einmal mit mir im Himalaya ein Trekking machst, was antwortest du?“
Ein Blick, der für einige Anstrengung entschädigt: Mount Everest (links) und Lhotse
Susanne: „Dass ich mitkomme. Allerdings würde ich mich besser vorbereiten, Training in den Bergen statt Entspannung in Lissabon, die Anstiege sind mir nicht leicht gefallen. Und ich würde mir mehr Zeit vor Ort wünschen, ich habe es sehr gemocht, in dem warmen Gras zu sitzen und auf den Everest zu schauen. Die Atmosphäre war etwas besonderes.“
Dirk: „Ja, an solche Momente werde ich mich auch noch lange erinnern. Und an die Menschen, denen wir begegnet sind, an die Kinder, die auf den Wegen spielten, an ihr fröhliches ‚Namaste‘. An die Porter unter ihren Lasten, deren Gewicht mit Musik offenbar leichter zu ertragen ist, laut schepperte Nepal-Pop aus ihren Handys. Ich werde mich noch lange an die Mönche im Kloster von Tengboche erinnern und an die Würde von Ama Dablam und Mount Everest.“
Vertieft in ihr Spiel: Diese Kinder in Khumjung werfen Münzen
Der Hauptgang wird serviert. Susanne bekommt ein vegetarischen Pat Thay in einem Omelette-Beutel. Und ich ein Biryani, gewürzter Reis mit einem Gemüsecurry. Es schmeckt göttlich.
Susanne: „Das Kloster und die Mönche haben mich auch sehr berührt, die Geduld und die Ruhe, die sie ausgestrahlt haben. Die Spiritualität Nepals hat mich beeindruckt – das Nebeneinander von Hinduismus und Buddhismus, dass wir das fast archaisch anmutende Durga-Fest mit seinen Opfergaben erleben durften, sowie in Kathmandu die Pilger mit dem Wunsch nach Erleuchtung an der Stupa Boudnaths.“
Ort der Spiritualität: die Stupa Boudnath in Kathmandu
Dirk: „Wie gut, dass wir zwei Mal in Kathmandu waren. Beim ersten Besuch hatte mich die Stadt eher verschreckt. Wie gut auch, dass wir nicht nur die Berge gesehen haben, sondern auch ins Terai gefahren sind.“
Susanne: „In Lumbini, dem Geburtsort Buddhas, ist mir beim Anblick der Mönche aufgegangen, dass die Buddha-Natur in uns allen steckt. Das war eine gute Erkenntnis. Und wie schön, dass wir danach die Zeit im Ananda hatten, um all die spirituellen Eindrücke zu verarbeiten und zu vertiefen.“
Freizeitvergnügen in Delhi: Boot fahren und sich mit großen Fremden fotografieren
Jetzt bringt G.S.N. das Dessert: Himbeer-Eis, Baiser, Ess-Papier. Für einen Moment noch setzt er sich zu uns. Wir sprechen über die Stadt, die so boomt, dass immer mehr Luxus-Hotels gebaut werden – und die sich gegenseitig die Gäste abjagen. Über den Smog. Und versuchen einige bemerkenswerte Eigenheiten der Einwohner Delhis zu ergründen: Warum fahren sie so gern Boot? Warum lassen sie sich so gern mit Fremden fotografieren? Auch wir sind immer wieder gefragt worden, ob wir zu einem Gruppenfoto bereit wären.
Am nächsten Morgen gibt uns G.S.N. ein kleines Lunchpaket mit auf den Weg. Und wir nehmen Abschied von einem Hotel, das sich selbstverständlich all seine Freundlichkeit bezahlen lässt. Aber der Service ist perfekt. Wir können die Amanjunkies verstehen, die immer wieder nur in die Hotels dieser Gruppe reisen. Auch das Aman in Delhi erweist sich als ein entspannter Ort in einer nie wirklich ruhigen Stadt – die bald schon unter uns im Dunst verschwinden wird.
Das Licht des Südens: Aus dem Smog Delhis geht es in den Frühling von Buenos Aires