Tag der Grauwerte: Nur die Rettungswesten der Zodiac-Fahrer setzen schwache Farbakzente in diesem anfänglich sehr nebeligen Tag vor Südgeorgien. Die Inselgruppe im Südatlantik liegt unter einer dicken Wolkendecke
Ein Reisebericht von Susanne Baade und Dirk Lehmann
„Wer will morgen Sonne haben, bitte den Arm heben.“ Kapitän Mark Behrend steht in der Panorama Lounge vor den großen Scheiben, durch die man normalerweise einen tollen Blick auf das Meer hat. Und auf der Überfahrt von den Falklands nach Südgeorgien haben wir viel See gesehen. Sehr viel See. Doch jetzt sind die Vorhänge zugezogen. Expeditionsleiter Stefan Kredel hat in die Lounge gebeten, um die Passagiere mit den „Bio-Security“-Vorkehrungen für die Inselgruppe im Südpolarmeer vertraut zu machen, Besucher dürfen kein Saatgut auf die Inseln bringen. Um zu vermeiden, dass das zufällig geschieht, müssen Taschen, Schuhe, Mützen, Kamerastative, ja sogar Jackenklettverschlüsse, gereinigt werden (es gibt an Bord dafür extra eine Stiefelwaschanlage). Auch die nächsten Anlandungen sollten thematisiert werden. Doch vorerst spricht der Kapitän und droht, angesichts der vielen erhobenen Arme, mit gespielt vorwurfsvoller Stimme: „Das habe ich mir gedacht. Deshalb will ich Ihnen zeigen, warum Sie sich besser kein schönes Wetter wünschen sollten.“
Manche Seebären warten so sehnsüchtig auf ihre Seebärin, dass sie die Rotjacken am liebsten davonjagen würden. Da hilft nur eins: groß machen, um dem Tier zu zeigen, dass man kein Rivale ist. Nützt das nichts, müssen erfahrene Crew-Mitglieder den Grantler in Schach halten
Auf die Leinwand – die Panorama Lounge dient auch als Vortragssaal – hinter dem Kapitän wird ein Bild projiziert, es zeigt unser Schiff in einer Bucht liegend. Das Wasser ist ruhig. Nächstes Bild. Dieselbe Bucht. Wieder erkennen wir die „Bremen“. Doch diesmal ist die See aufgewühlt, weiße Schaumkronen auf den Wellen. „Nur zehn Minuten liegen zwischen beiden Aufnahmen“, sagt der Kapitän. Und erklärt den Grund für die dramatische Änderung der Wetterlage: Die Luft über einem Gletscher ist nicht nur kalt, sondern auch schwer. Kommt die Sonne heraus, steigt die erwärmte Luft über dem Meer schnell auf. Als Druckausgleichsströmung stürzen die Luftmassen mit großem Tempo vom Gletscher herab. Diese katabatischen Winde können Geschwindigkeiten von mehr als 200 Km/h erreichen. „Es versteht sich von selbst, dass wir die Anlandung dann sofort abbrechen. Also hoffen Sie mit uns, dass es nicht zu sonnig wird.“
Happy Feet? Eher heavy shit. Mehr als 50.000 Königspinguine – und einige Seebären – leben auf der von Gras und Eis überzogenen Salisbury Plain. Und man riecht es
Am nächsten Morgen zeigt sich, der Kapitän ist erhört worden. Schwer hängen graue Wolken auf einer Landschaft aus schwarzen Bergen mit weißen Schneefeldern, wie eine Bleiplatte liegt das Meer. Eine Natur wie eine Schwarz-Weiß-Aufnahme. Immer wieder zieht Nebel über das Wasser. Die Zodiacs werden abgelassen und verschwinden auf eine Probefahrt. Dann geht es los. Wir erreichen mit dem ersten Boot die Salisbury Plain. Schwimmweste ablegen, Kamera rausholen, auf Pirsch gehen. Ein Passagier wird von einem Seebären attackiert und nimmt die Arme nach oben. Der Expeditionsleiter hatte uns gewarnt, dass die großen Robben überall am Strand seien. Wir sollen uns von den männlichen, manchmal „mauligen Tieren“ fern halten. Wenn uns eines zu nahe komme, nicht weglaufen – „die sind schneller als Sie“ – sondern groß machen. „Wenn auch das nichts nützt, laut um Hilfe rufen. Die Lektoren haben Stöcke und wissen, wie sich die Situation lösen lässt.“
Frackträger und Rotjacken: Immer wieder kommen sich Pinguine und Passagiere nahe. Meist sind die Tiere neugieriger als es die Menschen sein dürften, die sich an vorgeschriebene Abstände halten müssen
Als sich die Nebel langsam lichten, zeigt sich die Salisbury Plain in ihrer ganzen Dimension: Rund 50.000 Königspinguine nisten auf der weiten Ebene, die in weichen Hügeln ansteigt. Ohrenbetäubendes Kreischen und atemberaubender Gestank liegen in der Luft. Wir streifen durch den Bereich, der Besuchern zugänglich ist, beobachten die Tiere. Wir genießen die Szenerie. Und sind nach einer Stunde so durchgefroren, dass wir uns auf den Rückweg machen. Eine Gruppe Pinguine watschelt als Abschiedsparade über den schwarzen Strand.
Heiß erwartet: Den ersten Eisberg umrundet die Bremen, damit ihn die Passagiere von allen Seiten fotografieren können
Während wir ein leichtes Mittagessen zu uns nehmen – man kann auch auf dieser Seereise viel essen, was einem manchmal seltsam erscheint, wenn etwa Lektorin Gudrun Bucher in einem Vortrag über die Entbehrungen der Antarktis-Eroberer spricht und man sich danach an einem üppigen Buffet bedienen kann –, lichten sich die Wolken. Die Sonne kommt raus. Mit Kurs auf die nächste Landestelle passiert die Bremen den ersten Eisberg dieser Reise. Groß wie ein Baumarkt erhebt er sich auf der Backbordseite aus dem Wasser. Ein Kunstwerk der Natur, es zeigt wie viel Kraft in den Farben Weiß und Türkis steckt. Vögel hocken auf der glatten Eisfläche.
Da glühen die Kameras – angesichts des Eisriesens, der kaum kleiner ist als unser Schiff
Es ist bekannt, dass die Strömung immer wieder Eisberge aus der Antarktis nach Südgeorgien treibt. Vor einiger Zeit lief hier ein kilometerlanger Gigant auf Grund und zerbröckelte über Jahre. Auch unser Eisberg ist bereits älter. Der antarktische Sommer beginnt gerade erst, vor allem wenn es warm ist, brechen vom Schelfeis solche Stücke ab, die groß genug sind, die weite Reise bis nach Südgeorgien zu überstehen – ohne dahinzuschmelzen.
Die Passagiere an Bord der Bremen sind ganz hingerissen vom Anblick des kalten Klotzes und klicken mit ihren Kameras bis die Speicherkarten glühen. Unser Kapitän, den gestern noch die Sorge über die katabatischen Winde sehr vorsichtig gestimmt hat, heizt die kleine Euphorie an, indem er die Bremen den Eisberg umrunden lässt. Selbstverständlich in gehörigem Sicherheitsabstand.
Eisbergfriedhof: Die Strömung treibt die frostigen Riesen aus der Antarktis nach Südgeorgien, wo sie stranden und über Jahre zerbröseln. Auch dieser Eisberg wird bereits seit dem Sommer 2011 (vielleicht ist er sogar noch älter) in diesen Gewässern schwimmen und schwinden