Auch das gehört zum Abenteuer Antarktis: ein Sturm schüttelt die Bremen
Ein Reisebericht von Susanne Baade und Dirk Lehmann
Für Wetter-Fans muss das aufziehende Tiefdruckgebiet ein Traum sein. Der Luftdruck fällt in kurzer Zeit von 1017 Hektopascal auf 982, ein Wert, den man auf der anderen Erdhalbkugel nur selten an einem Barometer ablesen kann. Mit einer Zuggeschwindigkeit von rund 100 Kilometern am Tag bewegt sich die Schlechtwetterzelle auf Südgeorgien zu, mit Windstärken von 12 Beaufort und darüber. Auf der Wetterkarte ist der zentrale Bereich des Tiefs violett eingefärbt, der ultimativen Farbe in den Unwetterskalen. Es muss mit einer Wellenhöhe von zehn Metern und mehr gerechnet werden. Was ein prachtvoller Sturm! Doch in den Gesichtern der Passagiere, die vom Kapitän auf das bevorstehende vorbereitet werden, zeichnet sich alles mögliche ab – nur keine Begeisterung.
Am Nachmittag hatten wir Kapitän Mark Behrend auf der Brücke besucht. Er nahm sich viel Zeit, uns das bevorstehende Wetter zu erklären. Behrend arbeitet mit mehreren Informationsdiensten, die er per Internet abfragt. Auf den Ausdrucken lässt sich gut erkennen wie der Sturm auf die Meerenge zwischen Südamerika und Antarktis zurauscht und immer mehr an Format und Fahrt gewinnt. Die 1200 Kilometer weite Drake-Passage ist berühmt berüchtigt für ihre Stürme, die hier von keiner Landmasse gehemmt werden und die See zu hohen Wellen aufpeitschen. Genährt werden sie zudem von extremen Unterschieden der Wassertemperatur. Rund 8 Grad warm ist der Südatlantik, das Südpolarmeer misst nur rund 2 Grad.
Eigentlich muss uns das noch gar nicht interessieren. Die Drake-Passage steht uns erst auf der Rückreise bevor, wenn die Bremen aus der Antarktis aufbricht mit Ziel Kap Hoorn. Doch das Tiefdruckgebiet bewegt sich in unsere Richtung. Es bleibt bloß die Frage, welchen Kurs es genau nimmt, frontal auf Südgeorgien zu oder dreht es nach Süden ab? Und wohin fährt unser Schiff?
Am Anfang ist es nur ein Zahlenspiel: Der Luftdruck fällt. Doch dann wird das Schiff gesichert mit Seeschlag-Blenden vor den Fenstern der Brücke, Decks bleiben geschlossen, und die Stühle kommen an die Kette
Eigentlich müssten wir Kurs nach Südwesten nehmen, die noch vom Packeis eingeschlossenen South-Sandwich-Inseln passieren und auf die Antarktische Halbinsel zu halten. Doch was wenn der Sturm ebenfalls nach Süden abdreht? Mark Behrend sagt, es bestehe keine Gefahr für die Bremen. „Sie ist ein feines Schiff und geht gut durch die Wellen. Aber ich muss das nicht haben. Und unseren Gästen möchte ich ersparen, was der `Fram’ widerfuhr.“ Das Expeditionsschiff der norwegischen Hurtigruten geriet in der antarktischen See mitten hinein in ein solches Monstrum mit 14 bis 16 Meter hohen Wellen.
Als wir die Brücke verließen, war die Entscheidung über den Kurs noch nicht gefallen. Aber die Crew begann bereits damit, die Seeschlag-Blenden vor die Fenster des Kommandostands zu schrauben, stabile Stahlplatten mit nur schmalen Sehschlitzen. Im Laufe des Abends werden die Wellen höher und höher, und die Mannschaft trifft weitere Vorkehrungen: In den Kabinen im vorderen Bereich des Schiffes schützen nun ebenfalls Blenden die Bullaugen und Fenster, Ketten fixieren Sessel und Stühle, die Decks auf der Steuerbordseite sind gesperrt, Flaschen und Gläser in den Bars besonders gesichert. Das Selbstbedienungs-Restaurant im Club bleibt aus Sicherheitsgründen geschlossen, der Pool ebenfalls.
Frühstück in der Waschstraße: Zum Glück scheint die Sonne zum Sturmschauspiel
Eine leichte Beklommenheit verdrängt die heitere Stimmung der bis dato überwiegend sonnigen Tage. Zwar, so schien es zumindest, wollten die meisten Passagiere auch einen Sturm erleben, Bettina, eine Ärztin aus Ottobeuren, sagt lapidar: „Das gehört doch zu einer Kreuzfahrt in die Antarktis.“ (Sie wird ihren Satz noch bereuen.) Doch jetzt, da der Sturm kommt, ist die Vorfreude bei den meisten gedämpft. Wie heißt es doch so schön: „Beware of your wishes.“
Die Bremen macht einen großen Umweg. Statt Kurs nach Südwesten zu nehmen, wo die Gefahr besteht, in eine Zangenbewegung zu geraten zwischen den Eismassen der Antarktis und dem Sturmzentrum über der offenen See, fahren wir ein gehöriges Stück zurück nach Westen, um dann auf direkten Südkurs zu gehen. Durch die Drake-Passage. Was einigen Passagieren so vorkommt, als würde man Belzebub mit dem Teufel austreiben. Der Kapitän präsentiert den geplanten Kurs kurz vor dem Abendessen. Er ist, so könnte man sagen, alternativlos.
Wellenbad: Wie eine Waschmaschine schäumt der Pool, das Heck tanzt durch die Gischt
Zwei Tage tobt der Strum. Windstärken von 9 bis 10 werden gemessen, Wellenhöhen bis zu acht Meter. Einmal sitzen wir in der Panorama-Lounge auf Deck 7 und beobachten wie das Schiff durch die Brecher stampft. Einem Kirmeskarussell gleich steigt es auf. Hoch und höher und noch ein Stück. Dann steht es für einen winzigen Moment still. Und stürzt hinab. Scheppernd knallt der Rumpf auf das Wasser. Eine gewaltige See geht über den Bug, schlägt hinauf bis zur Lounge und spült die Scheiben. Es ist wie in Kindertagen, wenn man samstags mit Vater in die Autowaschstraße fuhr und auf der Rückbank eine Mischung aus Faszination und Schauder empfunden hat. Diesmal steuert Paps das Auto allerdings über eine Achterbahn.
Viele an Bord leiden. Es gibt eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, Menschen mit und Menschen ohne Pflaster gegen Seekrankheit hinter dem Ohr (die Ärztin aus Ottobeuren übrigens auch). Sogar einige aus der Mannschaft tragen eins, Susanne auch. Es hilft gegen die schlimmste Pein, man muss sich nicht ständig übergeben. Die Nebenwirkungen: Das Medikament macht müde, man hat einen unangenehmen Geschmack im Mund und ständig Durst. Und doch überrascht es, dass selbst am ersten Abend, als das Schiff bockt wie ein Pferd, das seine Reiter abwerfen will, rund Dreiviertel der Gäste ins Restaurant gehen, ähem: taumeln.
Ankunft vor Elephant Island: Der Sturm ist vorbei, die Zodiacs schwärmen aus
Wir üben, etwa bei starkem Seegang zu duschen, ohne aus der Kabine herausgeschüttelt zu werden, wie eine Meerjungfrau, die an Land gespült wird. Eine Hose anzuziehen, ohne umzukippen. Sich auf einen Stuhl setzen. Suppe löffeln. Geradeaus gehen. Und sind irgendwann vor allem genervt vom ständigen Geschüttel. Doch als wir das Paar aus der Eifel kennen lernen, werden wir ganz kleinmütig. Die beiden haben eine Kabine ganz vorn im Schiff und fühlen sich wie im Astronauten-Training, bei dem man sich im Parabelflug auf die Schwerelosigkeit vorbereitet. Die Fahrt in die Antarktis ist ihre Hochzeitsreise.
Es bleibt der Trost, dass es nicht grau und düster ist, dass die Sonne scheint. Und dass irgendwann jeder Sturm vorbei geht. Auch dieser. Und als wir am nächsten Vormittag dick eingepackt auf Deck stehen, hat sich der Himmel bezogen, und der Wind ist so gut wie eingeschlafen. Wir machen uns bereit für unsere Bootstour rund um Elephant Island. Die Luft ist kalt, das Wasser eisig. Und beim Einstieg in die Zodiaks erinnert nur noch die hohe Dünung an den Sturm der letzten Tage.
Exkursion der Rotjacken: Im Schlauchboot besuchen wir den Ort, wo Shackletons Männer vier Monate ausharren mussten. Plötzlich fällt unser Motor aus. Mist, wir wollten schon immer mal auf einer einsamen Insel stranden. Aber doch nicht in der Antarktis! Expeditionsleiter Stefan Kredel rettet uns, er repariert das Boot in MacGyver-Manier: mit einem Flaschenöffner, Klebeband und der Schere aus dem 1.-Hilfe-Kasten
Elephant Island ist ein von Pinguinen bevölkertes Felsplateau, das sich grau-schwarz gegen die weiß-blauen Gletscher abzeichnet. Wir sitzen im Boot von Expeditionsleiter Stefan Kredel, der uns ganz nah heran fährt an das Denkmal, das an die Rettung der Männer von Ernest Shackleton erinnert. Fast vier Monate haben sie an diesem unwirtlichen Flecken Erde in zwei Höhlen ausgehalten. Drei Rettungsversuche scheiterten, bis es dem Polarforscher mit Unterstützung des chilenischen Kapitäns Luis Pardo gelang, die Männer an Bord des Marine-Wachbootes „Yelcho“ zu nehmen. Kaum vorstellbar, wie entbehrungsreich das Leben an diesem Ort gewesen sein muss. Wir sind im Sommer hier und tragen dicke Jacken, Mützen, Handschuhe. Shackletons Männer lebten hier von Mai bis August – im antarktischen Winter. Gegen ihre Auszeit ist unser Sabbatical reiner Luxus.
Unwirtliche Welt: Die schwarze Struktur ist ein Denkmal für den Kapitän der „Yelcho“, Luis Pardo hat mit seinem Schiff die Shackletons Männer gerettet. Für den Pinguin ist der Eisberg sein Zuhause
Plötzlich geht der Motor des Zodiacs aus. Stefan Kredel versucht die Maschine wieder zu starten. Vergeblich. Wir treiben vor Elephant Island. Wie blöd. Klar, würden wir gern mal stranden. Aber doch lieber auf einer unbewohnten Südsee-Insel, wo einem die Kokosnüsse vor die Füße fallen, auf keinen Fall aber in der Antarktis. Außerdem darf man doch keine Pinguine mehr essen. Ein anderes Zodiac nimmt uns längsseits, während der Expeditionsleiter in MacGyver-Manier mit einem Gegenstand, der an einen Flaschenöffner erinnert, und der Schere aus dem Verbandskasten am Motor arbeitet. Nach einigen, nicht bangen, aber verdammt kalten Minuten springt der Motor wieder an, und wir setzen unsere Fahrt vor. Der Benzinschlauch sei verstopft gewesen. Jetzt tuckert das Boot weiter, umrundet Elephant Island, fährt auf den riesigen Gletscher zu, der sich schrundig und blau-grau von der Halbinsel ins Meer presst, und schwingt über hohe Wellen zurück zum Schiff.
Es ist die erste Begegnung mit der Welt des Ewigen Eises. Unwirtlich. Schroff. Hart. Kalt. Was ein Ort. Was ein Privileg, unter solchen Umständen hier sein zu dürfen.
Magisches Licht und kleines Boot: Ein Zodiac nähert sich dem Endurance-Gletscher vor Elephant Island. Nur noch die Decksaufbauten der Bremen überragen die Dünung