Australien: Kängurus und Koalas auf Kangaroo Island

Der Schnabeligel wollte in den Wald und hat sich am Straßenrand verlaufen
Angestachelt von ganz viel Angst: Der Schnabeligel wollte in den Wald und hat sich am Straßenrand verlaufen. Weil wir befürchten, dass das Echidna überfahren wird, retten wir das Stachel-Knäuel

Ein Reisebericht von Susanne Baade und Dirk Lehmann

Da igelt es sich am Straßenrand ein, drängt den kleinen stacheligen Körper fest gegen die Brücke. Wir stehen davor und wissen nicht, was tun. Das Echidna – deutsch auch Ameisen- oder Schnabeligel – ist vor uns über die Straße gelaufen, hat plötzlich eine Kehrtwendung gemacht und rannte in einem weiten Bogen zurück, um an die Brüstung einer Brücke zu prallen, die einen der Creeks auf Kangaroo Island quert. Aber von dieser Stelle gibt es für das Tier kein zurück in die Büsche. Wir befürchten, dass es über die Straße flitzen wird. Und dass ihm dasselbe Schicksal widerfährt wie vielen Tieren auf der Insel.

Als wir den Mietwagen übernahmen, warnte uns der Budget-Angestellte: „Ihr werdet tote Tiere sehen.“ Die Erklärung ist banal: Wallabys und Kängurus sind nachtaktiv. Tagsüber verbergen sie sich vor der Hitze in Gebüschen oder unter Bäumen. Mit der Dämmerung hoppeln sie los, um auf Wiesen zu äsen. Und hüpfen einfach über die Straße. Da hilft auch kein Hupen. Deshalb wird Touristen geraten, nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr Auto zu fahren. Die Einheimischen bauen sich martialische, so genannte Bullcatcher an die Wagen und bolzen die Tiere einfach über den Haufen. Die verenden am Straßenrand. Ein Anblick, der einem nicht leicht fällt – diese einzigartigen Lebewesen, die ja auch ein Grund dafür sind, dass man eine so weite Reise angetreten hat, tot im Dreck liegen zu sehen.

Eine japanische Familie hält an. Und gemeinsam versuchen wir den kleinen Schnabeligel über die niedrige Mauer ins rettende Gebüsch zu bugsieren. Eine mehr als skurrile Situation, wie da eine Gruppe von sieben Menschen rund um das kaum zehn Zentimeter hohe Tier stehen, das sich mit allen Kräften dagegen wehrt, gerettet zu werden. Schließlich gelingt es uns, die Fußmatte des Autos unter das Echidna zu schieben und es in ein Gebüsch zu heben. Einen Moment lang verharrt es regungslos. Und dann verschwindet es im knisternden Unterholz.

Faultier: Koalas schlafen bis zu 18 Stunden am Tag
Faultier: Koalas schlafen bis zu 18 Stunden am Tag

Unser zweiter Tag mit Ron wird der Tag der Landtiere. Wir besuchen das Hanson-Bay-Wildlife-Sanctuary. Hier sterilisiert man die zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal von einem deutschen Zoologen beschriebenen „Aschgrauen Beutelbären“, wie der Koala fälschlicherweise genannt wird. Zoologisch ist das Vorbild des Teddy kein Bär sondern ein Beuteltier. Das war wegen des weichen Fells sehr beliebt und wurde extrem bejagt, Anfang des 20. Jahrhunderts sollen in einem Jahr etwa 800.000 Koalas abgeschossen worden sein. In Südaustralien war der Beutler ausgestorben, in New South Wales und in Victoria hatte eine kleine Population überlebt. Vor etwa 100 Jahren wurden deshalb 18 Tiere vom Festland auf die Insel gebracht, um die Art zu retten.

Inzwischen gelten Koalas als Plage auf Kangaroo Island, sie haben sich hier extrem vermehrt: Ende der 1990er Jahre lebten etwa 5000 Exemplare in den Eukalyptus-Bäumen der Insel, so eine Schätzung des Australischen Umweltministerums, 2006 waren es mehr als 30.000. Eine Taskforce wurde eingerichtet und das Kangaroo Island Koala Management Program gestartet. Demnach gelten 0,75 Koalas pro Hektar als perfekte Menge für die Nachhaltigkeit des Waldes. Momenten sind es mehr als 3,3 Tiere.

Niedliche Plage: Koalas fressen nur die Blätter bestimmter Eukalyptus-Arten  Auf Kangaroo Island gibt es mehr Beutelbären, die streng genommen keine Bären sind, als der Vegetation gut tut
Niedliche Plage: Koalas fressen nur die Blätter bestimmter Eukalyptus-Arten. Auf Kangaroo Island gibt es mehr Beutelbären, die streng genommen keine Bären sind, als der Vegetation gut tut

Koalas fressen nur die Blätter einiger Eukalyptusbaumarten, sie bedrohen somit nicht nur deren Bestand sondern auch das eigene Futterreservoir. Und dennoch konnte die Regierung die ursprünglichen Pläne, einen Teil der Tiere schlicht abzuschießen, nicht durchsetzen. Zu groß waren die Proteste aus aller Welt. Inzwischen werden die Koalas umgesiedelt – rund 4000 Exemplare hat man in ihr einstiges Habitat in Südaustralien gebracht – oder sterilisiert. Wir erkennen die entsprechend behandelten Weibchen an einer roten Markierung im Ohr. Rund 10.000 Koalas können sich nicht mehr fortpflanzen. Ob das ausreicht? Niemand weiß es. Unser Guide Ron und selbst James, der das Sanctuary leitet, sind eher skeptisch.

Rote Plaketten markieren sterilisierte Koala-Weibchen

In Gum-Trees wie diesem suchen Kängurus oft Schutz vor der Hitze des Tages
Hinweise und ihre Bedeutung: Rote Plaketten markieren sterilisierte Koala-Weibchen. In Gum-Trees wie diesem suchen Kängurus oft Schutz vor der Hitze des Tages

Gegen Mittag lädt uns Ron auf ein „Barbie“ ein, das ist bei den abkürzungsverliebten Aussies das Wort für Barbecue. Das Unternehmen, für das er arbeitet, hat sich einen kleinen Platz im KI-Dschungel reserviert, um da einen Snack für die Gäste zuzubereiten. Ron zaubert, holt Salat und Brot aus den Kühltaschen, Dressing und Butter. Er stellt Wasser, Saft, Limonade, Bier und Wein auf den Tisch, den er mit einer weißen Decke und echtem Geschirr eingedeckt hat, er brutzelt auf einer großen Grillplatte Kartoffeln und Fisch und schickt uns auf einen kurzen Spaziergang. „Da draußen werdet ihr bestimmt ein paar Kängurus sehen. Und wenn ihr zurück seid, ist das Essen fertig.“

Wer genau hinsieht, erkennt die Kängurus zwischen den Baumstämmen  als die Kängurus uns wittern, springen sie davon

Ron bereitet unser Mittagessen vor   beim "Barbie" ist alles selbstgemacht

der Fisch, den er für uns brät, ist ein King George Whiting   schlicht und köstlich
Wer genau hinsieht, erkennt die Kängurus zwischen den Baumstämmen, als wir uns nähern, hüpfen die Tiere über das braune Gras davon. Zwischenzeitlich bereitet Ron das Barbecue – „Barbie“ – vor, der Fisch, den er für uns brät, ist ein King George Whiting 

Tatsächlich entdecken wir einige Tiere im Unterholz, andere springen davon, während wir uns nähern. Später – Ron serviert perfekt gegarten King George Whiting, einen Fisch, der vor allem in hiesigen Gewässern vorkommt, dazu einen lokalen und überraschend guten Sauvignon Blanc von Dudley Wines – sitzen wir unter dem Zeltdach, blicken in die sich in der Hitze vor uns ausbreitende kleine Savannenlandschaft und können das Glück, das uns diese Reise während unseres Sabbaticals beschert, gar nicht richtig fassen.

Am Nachmittag hat uns Ron im Hotel für die nächsten Tage abgesetzt, wir wohnen jetzt im „Kangaroo Island Wilderness Retreat“, einem einfachen Bungalow-Resort am Rand der Flinders Chase, einem Nationalpark im Westen der Insel. Und weil es so heiß ist heute, werfen wir nur kurz unsere Rucksäcke im Zimmer ab, zerren die Schwimmsachen heraus und fahren zu einer der Badebuchten. Der Sand ist fein, das Meer glitzert und hat höchstens eine Temperatur von 18 Grad. Dennoch rennen wir hinein. Kein anderer Mensch ist im Wasser.

Ein Wallaby hockt unterm Grasbaum,

über die Wiese hinter den Büschen hüpft ein Kangaroo-Island-Känguru
Leben an der Straße: Ein Wallaby hockt unterm Grasbaum, über die Wiese hinter den Büschen hüpft ein Kangaroo-Island-Känguru, es ist kleiner als seine Artgenossen vom Festland, das Fell ist dunkler 

Als die Sonne schon tief am Himmel steht und kaum noch wärmt, machen wir uns auf den Rückweg. Und erleben das Dilemma mit den Tieren von Kangaroo Island, ständig springen Wallabys und Kängurus vor uns über die Straße. Würden wir nicht so langsam fahren (Maximum: 60 Km/h), ließe sich ein Zusammenprall kaum vermeiden; ein Tempolimit wäre wohl die beste Möglichkeit, die Tiere zu schützen. Wir parken den Wagen, schlagen uns durch die Büsche und erreichen eine Wiese. Und da sehen wir die großen Beuteltiere in der Abendsonne äsen. Bis auf wenige Meter kann man sich ihnen nähern, dann hüpfen sie auf die ihnen typische Weise davon.

Ein Känguru betreibt Fellpflege  der Kola hockt orientierungslos am Straßenrand

wir helfen dem Koala über die Straße   im Hotel kommt ein Wallaby neugierig heran gehüpf
Ein Känguru betreibt Fellpflege. Was den Koala treibt, wissen wir nicht. Jedenfalls sitzt er an der Straße, bis wir auch ihn retten. Das Wallaby schnüffelt im Innenhof unseres Hotels herum. Selbstverständlich halten wir uns an die eiserne Regel „Don’t feed the animals – keep the wildlife wild“

Wir beobachten die Tiere, genießen die Ruhe des Ortes. Bis uns einfällt, dass wir mit Fiona vom Kangaroo Island Wilderness Retreat eine Verabredung zum Abendessen haben. Wir gehen zu unserem Auto, und da sehen wir ihn sitzen. Direkt neben dem Wagen, reglos aber lebendig, ein großer Koala. Wir versuchen das Tier von der Straße wegzulocken, betätigen die Hupe, reden auf den Beutelbären ein, schupsen und schieben ihn. Er rührt sich nicht. Schließlich werfe ich ihm unsere Picknick-Decke über den Kopf und trage ihn mit Susanne zu Eukalypten. Das Tier zappelt und windet sind. Und wird doch von uns ausgesetzt. Unter den hohen Bäumen auf der Insel, die einst die Arche Noah war für die Koalas Südaustraliens.

der Innenhof des "Kangaroo Island Wildlife Retreat"
Abendstimmung im Westen: Das „Kangaroo Island Wildlife Retreat“ ist eine perfekte Ausgangsbasis für Touren in den Flinders Chase Nationalpark