Wertvolles Wahrzeichen: Der dänische Architekt Jørn Utzon entwarf die Oper Sydneys, die sollte 3,5 Millionen Pfund kosten – sie wurde 46,5 Millionen Pfund teurer und acht Jahre später eröffnet als geplant. Beim Landeanflug auf die schönste Stadt der Welt wirkt sie fast zierlich neben den Hochhäusern des Central Business Districts
Ein Reisebericht von Susanne Baade und Dirk Lehmann
Der Himmel hängt voller Fahrräder, und für einen Augenblick wähnt sich ein leidenschaftlicher Radler wie ich im Paradies. Bis ich die Preisschilder an den Single-Speedern und Retro-Bikes erkenne, die bei „Deus ex Machina“ auf diese spezielle Weise ausgestellt sind, indem der Kunde unter ihnen lustwandeln kann. Die Ameisenperspektive als Kaufanreiz. Doch wenn das Paradies ein Ort ist, an dem einem widerfährt, was man sich am meisten wünscht, wären in meinem alle Fahrräder umsonst. Dieser Wunsch ist bei einer deutschen Ameise in Australien besonders groß, da Fahrräder hier deutlich teurer sind als in Deutschland. So wie vieles. Und manchmal möchte man sich vor Unglück einfach nur auf den Boden werfen: Die schönste Stadt der Welt ist leider auch eine der teuersten.
Als unser letzter Tag auf Kangaroo Island begann, kam morgens mit einer deprimierenden Selbstverständlichkeit die Sonne raus, die den Phantomschmerz über ihr Ausbleiben in den letzten Tagen nur vervielfachte. Mit einem Mal wussten wir, wie schön der Ausblick vom „Balkony Room“ in Pauls Bed&Breakfast wirklich war. Wir frühstückten schnell und setzten uns noch für eine Dreiviertelstunde an den Strand, in Kauf nehmend, dass die Fahrt zum Flughafen etwas stressig werden sollte. Über Adelaide ging es dann nach Sydney. Ich bin hier schon oft gelandet, für Neuseeland-Fan Susanne ist es der erste Besuch. Und an einem Tag wie diesem in einem Flugzeug zu sitzen, das über Sydney einschwebt, hält man kaum aus – so eindrucksvoll präsentiert sich die am Wasser gelegene Metropole, Schiffe und Segelboote kreuzen im Hafen, die hellen Hauben der Oper leuchten in der Sonne. Und selbst wenn man das alles schon unzählige Male gesehen hat, egal ob auf einem Foto oder live, es ist immer wieder umwerfend. Was eine wundervolle Stadt.
Grüne Visionen: Auch in Sydney hat man erkannt, dass das Verkehrsmittel der Zukunft nicht das Auto ist
Schönheit hat ihren Preis. Und darauf muss ich in diesem Blog-Eintrag kurz eingehen. Seit fast zwanzig Jahren reise ich nach downunder. Anfangs war Australien ein günstiges Reiseziel. Doch längst kostet hier alles mindestens so viel wie in Deutschland, in Sydney oft sogar mehr. Einige Beispiele: Für ein einfaches Bier – etwa Victorian Bitter – muss man in einem Lokal mindestens 6,50 Aussie Dollar zahlen, 5 Euro. Die Wein-Karte eines angesagten Restaurants beginnt bei 48 Dollar (38 Euro) für eine eher ordentliche Flasche Shiraz. Ein günstiges Pasta-Gericht kostet uns in Bronte 25 Dollar (20 Euro), ein Hauptgang in einem Top-Restaurant in der City 52 Dollar (41 Euro; die Gesamtrechnung für zwei belief sich auf mehr als 200 Dollar). Im Supermarkt kostet eine Flasche Wasser mindestens 1,59 Dollar (wir haben auch schon 2,49 Dollar bezahlt), ein Schokoriegel 3,50 Dollar, eine Ananas 5 Dollar. Auch die Aussies finden ihre Heimat teuer. Wir treffen die Bloggerin Saskia Howard, sie zahlt für ihre Zwei-Zimmer-Wohnung knapp 1800 Dollar im Monat (1440 Euro).
Cycle Chic: Dem internationalen Netzwerk von Radbloggern gehört auch unser Guide Saskia an, zum Auftakt der Tour schenkt sie uns dieses Leinentaschen. Etappen auf unserer Radreise – der Bike-Store „Deus ex Machina“, der Pop-Up-Store für Bio-Lebensmittel „Real Food“. Etwas gewöhnungsbedürftig sind die schweren, aber sehr soliden Holland-Räder aus Belgien
Saskia wohnt in Surry Hills, einem Stadtteil, der geprägt ist von zweigeschossigen Häusern im viktorianischen Stil. Noch vor 20 Jahren war das ein typischer working-class-suburb. Doch Surry Hills wurde behutsam saniert. Inzwischen hat auch hier die für Sydney typische Coffee-Culture Einzug gehalten, es gibt Cafés wie das „Gnome“, man sitzt bei einem Latte oder Long Black draußen, genießt den milden Frühsommer. In den Galerien und Agenturen arbeiten junge Leute, in coolen Shops kann man ungewöhnliche Einrichtungsgegenstände kaufen und, klar, Organic Food. Bio ist hier mehr als ein Trend, es wird zelebriert, bei „Real Food“ stehen Einmachgläser wie Preziosen in den Regalen, und der Verkäufer erzählt, dass das Gemüse in einem Garten in der Nachbarschaft angebaut wird.
Stadtteil mit Weitblick: Von Surry Hills kann man bis in die Innenstadt sehen
Saskia fährt mit uns durch ihren Stadtteil (hier gibt es einen kurzen Super-8-Film mit Impressionen unserer Tour). Ihr Blog ist Teil des Cycle-Chic Netzwerks. Schreibend begleitet die groß gewachsene Journalistin, wie sich ihre Heimatstadt immer mehr zu einer Radfahrer-Stadt entwickelt, sie empfiehlt Touren, bietet sich auch als Guide an. Für uns ist die Fahrt mit ihr ein Auftakt zur Erkundung Sydneys mit Experten. Mit Saskia rollen wir über Radwege, die meist auf der Straße verlaufen und von der Fahrbahn durch eine Art Bordsteinkante abgeteilt sind, an großen Kreuzungen ist die Bike-Lane grün markiert. Saskia bringt uns auch zum Rad-Store Deus ex Machina. Mit Inhaber Greg sprechen wir darüber, wie sich in Australien – ausgehend von Melbourne – eine neue Fahrradkultur entwickelt. „Es ist ein wenig wie bei euch in Europa und in Deutschland: Immer mehr Menschen sind auf zwei Rädern unterwegs. Es ist nicht nur die umweltfreundlichste sondern auch die gesündeste Art der Fortbewegung. Wir sind die Zukunft der Stadt.“
Tour de Sydney: Bloggerin Saskia Howard radelt mit uns zu Design-Shops, Cafés, Fahrradständern und Fish&Chips-Buden mit Humohr (weia!)
Viele Kilometer Radwege verbinden die Innenstadt mit ihren Vororten. Und doch liegt Zetland so weit entfernt von der City, dass wir jetzt in ein Taxi springen. Eigentlich hat Sydney mit 3,6 Millionen nicht viel mehr Einwohner als Berlin, es nimmt aber fast doppelt so viel Fläche ein wie die deutsche Hauptstadt. Zetland könnte man demnach das Neuruppin von Sydney nennen, ein Stadtteil wie eine Kleinstadt, geprägt von Handwerksbetrieben und Autowerkstätten, weit entfernt von der City der Metropole. Die Werkstatt eines ehemaligen Karosserie-Schlossers beherbergt nun die Galerie Sullivan and Strumpf. Hier beginnt die Kunst-Expertin Isobel Johnston ihre Tour mit uns. Nach den Outdoor- und Natur-Erfahrungen in den vergangenen Wochen und Monaten unserer Auszeit sehnten wir uns nach Urbanität und Kunst. Doch kennen wir uns mit der Kunst Australiens überhaupt nicht aus.
Moderne Zeiten in Zetland: Die Galerie Sullivan + Strumpf hat eine ehemalige Auto-Werkstatt für die Präsentation ihrer zeitgenössischen Künstler umgebaut. Die Werke auf unseren Fotos: „Be Deadly“ von Tony Albert und „Meeting Along the Edge“ von Matthew Allen
Sullivan + Strumpf zeigen vor allem abstrakte Gegenwartskunst, sie vertreten Maler wie Matthew Allen, der große Farbtafeln erzeugt, die ein wenig an Mark Rothko erinnern. Und die Objektkünstlerin Judy Millar, die mit ihren Arbeiten ganze Räume bespielt. Nicholas Shoebridge, ein junger Mitarbeiter der Galerie, der wie ein hochbegabter Student wirkt, nimmt sich viel Zeit, uns einige Werke der Sammlung zu zeigen. Die Galerie vertritt auch den jungen Aborigine-Künstler Tony Alber, seine streitbaren Bilder sind keine romantischen Dot-Paintings, es sind kritische Statements zur Stellung der Ureinwohner in der Gesellschaft. Ein Thema, das in Australien noch immer aufwühlt.
Mehr als eine Vision: Die Galerie Utopia präsentiert die Kunst der Aborigines, Bryan Hooper erklärt die Kraft der immer wieder kehrenden Motive. Isobel Johnsten hat uns zu ihm und seinen Werken geführt. Unsere Fotos zeigen Arbeiten von Ronnie Tjampitjinpa, Nyilyar Tjapangati, Wintiya Napaltjarri und George Tjungurrrayi. Von ihm stammt auch große Gemälde, „Untitled“
Eher klassische Aboriginal-Kunst zeigt die Galerie Utopia im Zetland benachbarten Stadtteil Waterloo. Die meisten Künstler, die hier ausgestellt werden, arbeiten im Zentrum und im Norden Australiens, einige gehören der Künstlerkolonie Papunya Tula an, die seit 40 Jahren besteht. Die Bilder erzählen die nachhaltig als „dreaming“ missverstandene Schöpfungsgeschichte der Ureinwohner. Bryan Hooper zeigt uns Bilder aus dem Lebenswerk von Ronnie Tjampitjinpa und erklärt an dessen Malweise, wie sich sein Stil entwickelt hat. Und so betörend schön einzelne Bilder auch sein mögen, so offenbar wird doch das Prinzip, nach dem sie entstehen – der Künstler macht sich auf Geheiß eines Ältestenrats an die Arbeit, das Kunstwerk quasi als Auftragsarbeit einer Mal-Manufaktur, das Bild ist nicht nur Ausdruck persönlichen Schaffens sondern eines kollektiven Prozesses. Die Einnahmen aus den bis zu 60.000 Dollar teuren Arbeiten kommen der Gemeinschaft zu gute.
Mehr als unbeschriebene Blätter: Dominik Mersch zeigt in seiner Gallerie die Arbeiten des chinesischen Künstlers Li Hongbo, etwa das ganz aus geschliffenem Papier geformte Skelett, dessen einzelne Knochen aufgefächert in einem Nebenraum stehen. Der Kopf, den der Galerist hier auseinander zieht, trägt den Titel „Girl“
Die letzte Galerie, die wir während unserer Tour mit Isobel besuchen, gehört einem Deutschen, der vor sechs Jahren nach Australien ausgewandert ist. Kunst interessiert und sammelt Dominik Mersch seit langem. Geld hat er in seinem alten Leben aber mit dem Vertrieb künstlicher Gelenke verdient. Manchmal spürt man, dass er noch immer Spaß an guter Ingenieursarbeit hat. So zeigt er uns etwa die Arbeiten des Chinesen Li Hongbo, tritt an eine weiße Büste, die aussieht wie eine Gips-Kopf, und zieht sie auseinander – das Werk besteht aus Papier. Unzählige Blätter, ein riesiger Stapel, modelliert, glatt geschliffen. Ein Papier-Skelett, ein Papier-Kind. Leere, unbeschriebene Blätter. Man kann sie aufklappen, einsehen. Und doch ist Hongbos Arbeit mehr als Spielerei, sie ist Kritik, stiller Protest.
Dominik Mersch sieht sich als Mittler zwischen den Märkten, er vertritt Künstler aus Europa, vor allem aus Deutschland, und aus Asien, vor allem aus China, die er nach Australien bringt. Ein Weg, der offenbar funktioniert. Der groß gewachsene Galerist, hat erst vorsichtig den Markt sondiert – und vor kurzem seine Repräsentanz deutlich erweitert. Er sagt, Australien ist ein kunstinteressiertes Land.
Wir bedanken uns bei Isobel für die lehrreiche Reise durch die Galerien Sydneys. Und hasten fast ein wenig davon. Wir haben es eilig, zurück in die Stadt zu kommen. Es ist bereits früher Abend, aber noch scheint die Sonne, es ist warm. Wir haben uns vorgenommen, mit der Fähre raus nach Manly zu fahren. Vielleicht wollen wir zu viel von diesem Tag. Doch wir sind hier. In der schönsten Stadt der Welt. Und es ist Sommer. Wer weiß, wann wir unser nächstes Sabbatical beginnen können, wann wieder in Sydney sein werden? Bald schon fliegen wir heim in den deutschen Winter. Es ist eine der letzten Gelegenheit, in einer Strandpinte ein Bier zu trinken. Und weil wir jetzt öfter an Deutschland denken, suchen wir uns einen Tisch in einem Biergarten am Fähr-Anleger. Hier wird Hofbräuhaus-Bier serviert. Wir lächeln freundlich, als die Kellnerin für zwei Gläser 19,50 Dollar verlangt. Denn wir wissen: Schönheit hat ihren Preis.
Ein Abend, so schön, dass wir ihn am Strand von Manly verbringen. Rückfahrt in die City mit der Fähre