Bright Lights, bright City: Im Herbst ist Brighton ein feines Reiseziel für aufgeschlossene Paare
Ein Reisebericht aus Brighton von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Wir sind nach Brighton gereist, um dem Spirit dieser Stadt nachzuspüren: Was zieht Kreative und Köche, Lebenskünstler und Lebensgestalter in das Seebad. Wer sind sie? Was tun sie? Was treibt sie an? Wir haben Menschen getroffen, die diese Stadt prägen wollen und präsentieren in vier Teilen das Lebensgefühl der Brightonians. Teil I: Meer.
Die Stimmen kommen von unten. Ein Rufen, eine Antwort, ein schneller, kaum verständlicher Dialog, lautes Lachen, und dann steigt Zigarettenrauch zwischen unseren Füßen auf. Erst als wir durch die Fugen im Boden der Pier sehen, erkennen wir die beiden Arbeiter. Sie hängen an Klettergurten im Ständerwerk und reparieren mit Schweißgeräten die Ikone dieser Stadt. Unter ihnen rollt träge die See gegen den Strand aus dicken Kieselsteinen. Läuft das Wasser zurück, klingt das Rieseln wie Applaus.
1899 wurde die berühmte Brighton Pier eröffnet. Und es gibt ständig etwas zu tun an diesem Gebilde aus Stahl und Holz – das nur aus der Ferne weiß und imposant aussieht. Kommt man näher, zeigt sich, dass die Farbe abblättert, einige Holzplanken sind morsch, Rost nagt an den eisernen Pfählen. Und schon sind wir bei einem Thema, das uns in Brighton noch oft beschäftigen wird. Schein und Sein. Makel und Make-Up. Glitter und Glanz. Alt und Neu. Tradition und Aufbruch. Pippa und Kate.
Seaside-Magic: bunte Stofftiere, coole Surfer, Spaziergänger im Abendlicht and the Gang
Pippa und Kate?
Eine Freundin berichtete von ihrer Reise in das Seebad. Während wir schon innerlich abwinkten, die ewig selben Geschichten ahnend über Brighton die Party-Stadt, die Festival-Town, in der ein verrücktes Event das nächste jagt, und Einwohner wie Besucher offenbar ständig Kostüme tragen, schwärmte unsere Freundin von einem „Mini-London by the Sea“. Von einer Stadt mit Charme und Weitblick, mit verblüffend moderner Küche und viel Kultur, schwul, extrovertiert, visionär. Klar, es gebe da auch diesen verrückten Palast und das kauzige Riesenrad. Vor allem aber habe Brighton einen besonderen spirit. Die Stadt sei ein gefühlte Metropole. Und so wurde unsere Neugier geschürt auf das Seebad am Ärmelkanal.
Wir fliegen mit Easyjet von Hamburg nach London-Gatwick. Wir sind keine Billigflug-Fans und maulten anfangs, dass ein Koffer extra kostet, dass man nur ein Handgepäckstück mitnehmen darf. Aber dann fällt es uns leicht, Ausrüstung und Kleidung für eine Woche in zwei kleine Taschen zu stopfen. Dann mögen wir das unkomplizierte Boarding, und dass man in London nur die Taschen schnappt und die Maschine verlässt. Doch gefriert uns die Freude im Gesicht als wir die vielen vielen Passagiere vor den wenigen geöffneten Immigration-Schaltern warten sehen. Großbritannien begrüßt uns mit einer seiner kulturellen Hervorbringung – der Warteschlange. Eine halbe Stunde müssen wir anstehen, bis man uns rein lässt. Die Busfahrt nach Brighton dauert nur eine Dreiviertelstunde.
First-Sight Beauty? Not really. Aber bunt, lebendig, kraftvoll und mit türkis farbenem Geländer
Ankommen ist eigentlich ein mondäner Prozess, ein Bahnhof, ein Flughafen, ein tiefes Einatmen, ein Rundumblick, um sich zu orientieren. Der Fernbus hingegen hält hinter einem heruntergekommenen Hotel, das National-Express-Bushäuschen ist verwittert. Schnell haben sich die wenigen Ankommenden verstreut, und für einen Moment stehen wir allein an der Haltestelle wie orientierungslose Dorfbewohner. Und für einen Moment befürchten wir, dass dieses Runtergerocktsein mit abblätternder Farbe, beschmierten Wänden und verwitterten Fenster schon ein Teil des vielbeschworenen Metropolenfeeling sein soll.
Verblüffend wie klein Brighton die gefühlte Großstadt ist. Schon nach wenigen Minuten erreichen wir die berühmte Pier. Susannes Rollkoffer rumpelt über die Holzbohlen. Der berühmte Schriftzug leuchtet gegen das Tageslicht an. Aus der Achterbahn dringt das Kreischen von Kindern. Kennst du das Gefühl, wenn du vor einer Ikone stehst und dir eingestehen musst, dass du sie dir irgendwie, nun ja, imposanter vorgestellt hast? Langsam dreht sich das Riesenrad.
Life at the seaside: Betsy geht jeden Tag schwimmen, und Rob hat eine nagelneue Angel
„Wollen wir nicht erst ins Hotel gehen“, fragt Susanne.
„Ach komm“, sage ich, „nur einmal rein. Dann gehen wir weiter…“
Wir betreten einen niedrigen Raum, erfüllt von künstlichen Klängen, schrillen Farben und bunten Lichtern. In der Spielhalle daddeln vor allem Männer, sie versuchen mit einem Greifwerkzeug einäugige Stofftiere zu angeln oder schlagen mit Keulen auf Krokodile ein, die ihre Schnauzen aus runden Löchern hervor strecken, „Whac-a-Croc“. Ein Angestellter herrscht uns an, dass wir nicht fotografieren dürfen. Wir kommen mit ihm ins Gespräch, erzählen ihm, warum wir neugierig sind auf Brighton. Er wird freundlicher. Und sagt plötzlich: „London ist Regierung, ist Repräsentieren, ist wie Kate, ihr wisst, die Frau von Prinz William. Brighton ist Vergnügen, ist Unabhängigkeit, Brighton ist wie Pippa.“
Pure Magic: Wie ausgegossene Milch liegt das Sonnenlicht auf dem bleigrauen Meer
Pecha Kucha?
Unser Hotel „Nineteen“ hat sich verkrochen in ein schmales viktorianisches Häuschen in einer Stichstraße zur Marine Parade, die wie ein Boulevard an der Küste entlang führt, sich die Felsen hinauf wirft und in der Ferne verschwindet. Das Zimmer liegt im ersten Stock. Einfach, aber schön gemacht. Wenn wir uns aus dem Erkerfenster beugen, können wir das Meer sehen. Doch den Osten Brightons werden wir nicht kennen lernen. Unser erster Weg führt in den Westen, nach Hove.
Crazy by the sea: Männer im Löwenkostüm, eine Riesengarnele und Skater im Pavillon
Seltsam seifig liegt der Nachmittagshimmel über dem Meer. Wir stapfen über die Strandkiesel, treffen Betsy, die 63-jährige hat ihre Kleidung in einem kleinen Stapel aufgetürmt. Es ist nicht kalt, die milde Luft schmeckt nach Salz, ein wenig metallisch. Und wir bewundern Betsy in ihrem schwarz-weißen Badeanzug. Sie versucht jeden Tag zu baden, nimmt immer auch am „Christmas Day Swim“ teil, bei dem am 25. Dezember hunderte Wagemutiger in die See stürmen. Und jetzt sehen wir ihr zu, wie sie tapfer in die Wellen geht.
Nur wenige Meter weiter steht Rob, ein bis zum Hals tätowierter Muskelprotz mit Backenbart, der früher im, so sagt er, „Security-Business“ war, und jetzt nur noch angelt. Sein Arzt habe ihm die Ruhe verordnet. Warum? Ron will nicht so recht antworten. Und wir gehen weiter. Rund zwei Kilometer legen wir am Wasser zurück. Wir treffen Surfer und Skater, begegnen einer Riesengarnele und entdecken einen Bildband von JJ Waller, der den ganzen Irrsinn und die unbändige Lebensfreude dieser Stadt fest hält. Wir atmen tief die Seeluft ein, der Brustkorb weitet sich, so wie der Horizont den Blick. Und wir bedauern bereits am frühen Abend des ersten Tages, dass wir nicht einige Monate bleiben können.
The Festival Town: Besucher des Digital Festival warten auf die nächste Präsentation bei dieser Pecha-Kucha-Night. Julie (You are great!) hat die Veranstaltung organisiert
Inzwischen hängt die Sonne tief am Himmel, die Wolken werfen magische Schatten. Wir haben uns für eine Veranstaltung im Rahmen des Digital Festivals angemeldet. Es ist eine Vortragsreihe, die Antworten finden will für ein Seebad 2.0. Julie, eine Amerikanerin in Brighton, hat uns zwei Plätze in der ersten Reihe gesichert für den Pecha Kucha-Abend. Wissenschaftler, Komödianten, Künstler und Dichter präsentieren in Kurz-Vorträgen ihre Arbeit. Und hier beginnt unser kleines Brighton-Projekt: Wir wollen Menschen treffen, die etwas ändern wollen, die Eigeninitiative zeigen.
Und wir sind am richtigen Ort. Hier lernen wir Claire kennen, die uns einlädt, mit ihr durch die Parks der Stadt zu gehen – auf der Suche nach wild wachsendem Essen. Wir treffen Laurie, einen Komödianten, der sein eigenes Gesicht als Projektionsfläche nutzt. Und aus alle den Kontakten ergeben sich neue Kontakte. Plötzlich stecken wir mittendrin in einem so gar nicht gesponnenen Brighton-Netzwerk der Kreativen und Innovativen, der Wagemutigen und Neugierigen. Ein toller Auftakt für unsere kleine Serie über diese große Kleinstadt.
Den Auftakt soll die Deutsch-Britin Cici machen, die während der Pecha-Kucha-Night ihr Frosch-Orakel präsentiert. Wir sprechen sie an, wollen mehr erfahren über ihr Projekt.
Cici hat Zeit und Lust uns zu treffen. Wann könnt ihr?
Morgen, 15 Uhr, passt dir das?
Ihre Antwort: „Perfekt!“ Mit k.
Hinweis: Die Recherchereisen für diesen Blog werden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien, Reedereien und/oder PR- bzw. Tourismus-Agenturen. Unsere journalistische Freiheit bleibt davon unangetastet. Wir danken Visit Brighton und den wundervollen Menschen dieser Stadt.