Ein Paar auf Reisen: Picknick im Park am „Royal Pavillon“, dem Partypalast von König Georg IV.
Ein Reisebericht aus Brighton von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Wir sind nach Brighton gereist, um dem Spirit dieser Stadt nachzuspüren: Was zieht Kreative und Köche, Lebenskünstler und Lebensgestalter in das Seebad. Wer sind sie? Was tun sie? Was treibt sie an? Wir haben Menschen getroffen, die diese Stadt prägen wollen und präsentieren in vier Teilen das Lebensgefühl der Brightonians. Teil IV: Bühnen.
Auf der Bühne steht er mit weiß angemaltem Gesicht. Eine Mütze auf dem Kopf, aus der ein seltsamer Stiel ragt. Damit sieht es noch bizarrer aus, wenn Laurie, der Komödiant aus Brighton, seine bösen Geschichten erzählt von einer Kindheit in einer walisischen Kleinstadt. Von den seltsamen Menschen, denen er begegnet… Und plötzlich wird der junge Mann zu einem der anderen. Auf seinem weißen Gesicht materialisiert sich ein fremdes Antlitz. Ein in die Mütze eingebauter Mini-Beamer projiziert eine kurze Filmszene auf das Gesicht des Mimen. Der Stand-Up-Comedian als stehende Leindwand. Ein kurzer, verblüffender Dialog zwischen realer und Film-Person. Das Publikum ist begeistert.
Neugierige Tiere und verspielte Tore: hungrige Eichhörnchen und der Eingang zum Park
Ein paar Tage später treffen Susanne und ich Laurie im „Fitzherberts“, einem traditionsreichen Pub in Brightons Lanes, den Gassen, die die Altstadt ausmachen. Es ist Samstagabend, und im Lokal drängt sich eine laute Schar trinkfreudiger Gäste. Die Stimmung ist großartig, freundlich, lustig. Und der Barmann empfiehlt mir „a real stunning beer“, das sie erst seit kurzem im Anstich haben: „Wahstien.“ Hä? Wie heißt das? Wo kommt das her? „It’s german. They make good beers down there.“ Hahaha. Riesengelächter als ich sage, dass ich jörmän bin und hier nicht Warsteiner trinken will. Der Barmann sagt, er habe auch stuff einer nahen Microbrewery. Es sei „really good“… Und ich balanciere drei Gläser Harveys an unseren Tisch.
Bühne mit Vergangenheit und Mann mit Zukunft: Große Comedians treten im „Dome“ auf, einst Teil des königlichen Pferdestalls. Laurie hat das Zeug dazu, da bald sein Publikum zu begeistern
Wir sitzen draußen. Der Herbst ist mild geworden. Und Laurie erzählt, wie er zum Komiker wurde. Dass er von kleinauf andere zum Lachen gebracht hat. Dass er schon immer beseelt war vom Wunsch, sich zu produzieren, dass er eigentlich ein furchtbar geltungsbedürftiges Kind gewesen sei. Doch dann hat er in der Animations-Abteilung für ein Software-Unternehmen gearbeitet. Bis er eines Tages da vorn, er nickt in die Richtung des „Dome“, eine Veranstaltung mit Stand-Up-Comedians gesehen. Seitdem habe er nur noch ein Ziel, selbst einer zu werden.
Test-Bild: Beim Interview in einem Pub zeigt Comedian Laurie die ersten Versuche mit dem Beamer
Mehr schlecht als recht schlägt er sich seit einiger Zeit durch die Bühnen Brightons. Bis er vor einem Jahr auf die Idee mit dem Mini-Beamer kam. Die Technik gibt es schon lange. Und sie funktioniert einwandfrei. Sie in eine gute Geschichte einzubinden, war und ist die große Herausforderung. Noch reicht sein Programm erst für etwa 20 Minuten. Doch nicht nur wir finden den Effekt verblüffend. Und wenn Laurie es hin kriegt, wird er vielleicht das Genre nicht gleich revolutionieren. Aber die Comedy wird um eine Facette reicher.
Brightons Bühnen: Laurie, der Komödiant, bei einem Auftritt. Der Pub „Waggon and Horses“ gilt als beliebter Treff für Entertainer, das Restaurant „Giraffe“ ist besonders populär bei jungen Essern
In Brighton begegnen wir Menschen, die sich engagieren, Menschen, die Mut haben, etwas zu ändern. Wir treffen Künstler und Ingenieure, Stadtgestalter und Köche. Wir essen vegetarisch im Terre-à-Terre, asiatisch im Wagamama und afrikanisch im Giraffe. Wir erleben das Seebad, das man so leichthin als Party-Town abtut, als Kraftzelle am Meer. Und einer der Antriebe dieser Stadt war schon immer das Unterhaltungs-Business.
Entertainment hat in Brighton eine lange Geschichte, man könnte sogar behaupten, das Seebad wäre ohne seine Fähigkeit zum Amusement nicht geworden, was es ist. Denn König Georg IV. erwählte die Stadt zu seinem Ferien-Paradies, weil er in Brighton viel Spaß haben konnte. Hier, weit weg vom spießigen London mit seinen langweiligen Regierungsgeschäften, ließ er sich einen Party-Palast errichten. Von außen wirkt der „Royal Pavillon“ orientalisch, wie eine 1001-Nacht-Fantasie. Die Inneneinrichtung soll an China erinnern. Im protzigen Saal hängt der Kronleuchter an einem gewaltigen Drachen. Hier feierte der König ausschweifende Feste mit vielen Frauen, nein, keine davon war seine Gemahlin. Sein Lebensstil führte erst in den finanziellen und dann in den gesundheitlichen Ruin.
Lieben Brightons Lebensqualität: Autor James Payne und sein „französischer Kopfkissenhund“
Dabei war Brighton Anfang des 18. Jahrhunderts so gut wie erledigt. Nach diversen Hungersnöten und verheerenden Stürmen hatte die Stadt nur noch 1500 Einwohner. Bis der Arzt Richard Russell darlegte, dass Meerwasser und Seeluft – besonders in Brighton – gesundheitsfördernd sind. Erst pilgerten vor allem Kranke an die Küste, bald kamen reiche Sommerfrischler. Und zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Brighton ein modischer Kurort, der durch den Royal Pavillon noch mehr Attraktivität gewann. Die Stadt entwickelte sich schnell, der erste Pier Englands entstand, eine Bahnverbindung nach London, ein Aquarium wurde eingeweiht, und die einstigen Pferdeställe von König Georg, die durch einen unterirdischen Gang mit dem Palast verbunden waren, wurden umgebaut zum Unterhaltungskomplex „The Dome“. 1974 gewannen Abba hier den Eurovision Song Contest.
Ausblick und Einblick: die Pläne für das Amphitheater und der Blick in das Haus von James
Brighton, Bühne für Selbstdarsteller aller Schichten, bekommt 2014 einen neuen Auftrittsort. Eine Privatinitiative treibt den Bau einer Open-Air-Bühne voran. Eine der treibenden Kräfte ist James Payne. Wir treffen ihn in seinem Haus, es steht in einer dieser typischen Siedlungen aus gleichförmigen, zweigeschossigen Gebäuden. Doch James hat viel Geld in die Modernisierung gesteckt. Holzdielen, weiße Wände, schicke Möbel, Kunst zeitgenössischer Brightonians wie Sam Hewitt. Jetzt sitzen wir in seiner Küche und essen frisch gebackene Brownies. Und James, ein weißes Fellknäuel kraulend, von dem er behauptet, es sei ein französischer Kopfkissenhund, erzählt, wie er zum Gründer von BOAT wurde, die Abkürzung steht für Brighton Open Air Theatre.
Das gute Leben: ein modernisiertes Stadthaus, und im Flur hängt Kunst von Sam Hewitt
James war Autor für Theater-Stücke und gehörte zu einem Kreis von Kreativen, der zusammen gehalten wurde von Adrian Bunting. Dessen Traum war es, in Brighton ein Amphitheater zu errichten. Als Adrian vor zwei Jahren überraschend starb, bildete sich eine Initiative, um das Projekt fortzuführen. Zu einer Benefiz-Veranstaltung im Dome erschienen mehr als 1200 Menschen und spendeten rund 20.000 Pfund Startkapital. Längst ist die Stadt-Regierung von dem Projekt überzeugt, ein geeigneter Ort wurde gefunden, schon bald starten die Bauarbeiten.
Push:RESET in Brighton: Das B&B Nineteen überrascht mit Charme hinter grauen Wänden
Und, James, freust du dich über den Erfolg? Ja, klar. Aber es ist auch bizarr. Denn er arbeitet inzwischen als Drehbuch-Autor für das Fernsehen. „Seine“ Serie By Any Means erzählt von einer geheimen Polizei-Einheit, die immer dann gegen das organisierte Verbrechen vorgeht, wenn die juristischen Mittel des Staates ausgeschöpft sind. Die Serie ist ein echter Gassenfeger. Auch deshalb geht James abends gern mit dem Hund raus, vorbei an all den Wohnzimmern, in denen seine Geschichten flimmern. „Es ist schon ein tolles Gefühl.“ Das nur getoppt werden kann, wenn er 2014 an der Eröffnungsveranstaltung für seinen Park teil nimmt, wenn er der Stadt etwas gegeben hat, das bleibt.
Bei unserem nächsten Besuch in Brighton werden wir auf den begrünten Stufen des Bunting-Theatres im Dyke Road Park liegen, picknicken und das freie Wlan-Netz nutzen, mit dem die Anlage ausgestattet werden soll. Oder wir werden am Abend einen Film oder ein Theaterstück sehen. Es ist erstaunlich, wie wenig Stadtplanung es bedarf, um einen Ort attraktiver und zukunftsfähiger zu machen.
Überraschung im Nineteen: Kunst an den Wänden, witzige Vasen und Kissen auf den Betten
Jetzt sitzen wir in James Auto, einem unaufgeräumten japanischen Kleinwagen. Der Autor sagt: „Der Wagen gehört meiner Frau.“ Und lacht nur, als wir uns wundern, dass er den Sitz gar nicht umstellen müsse. Obwohl das offenbar der „Wagen seiner Frau“ sei. Vom kleinen Park, an dessen Grün das Haus des Autoren grenzt, führt die Küstenstraße zurück ins Stadtzentrum. James erklärt ein paar Details, dass sich auf jener Wiese immer die Mitglieder diverser Sportclubs treffen, und im Kongress-Zentrum die Mitglieder diverser Parteien, die hier ihre Partei-Tage veranstalten. Und wenn im Herbst die Labour-Party komme, sei es in den Pubs an der Promenade noch schlimmer als an den anderen Wochenenden.
Die Stadt glitzert im Abendlicht. Die Lampen der Vergnügungspier spiegeln sich im Meer. Auf der Promenade rollen Skatboarder und Radfahrer, tanzen Betrunkene und Breakdancer, am Ufer hocken Lachende und Liebende.
Tafel: Das Wagamama ist spezialisiert auf japanische Suppen und an Wochenenden gut besucht
James lässt uns vor unserem B&B raus. Das Nineteen liegt in einer Stichstraße zur Promenade. Von außen ist es unprätentiös. Von innen hat ihm Gastgeber Mark Vessey mit seiner Sammlung zeitgenössischer Arbeiten lokaler und britischer Künstler modernes Flair gegeben. Noch einiges anderes gefällt uns an seinem Haus: die zentrale Lage, das Frühstück, das den Gästen morgens ans Bett gebracht wird, der leckere Kaffee, die frischen Croissants. Und irgendwie mögen wir auch Mark, diesen kauzigen Intellektuellen. In den ersten Tagen ist er noch gezeichnet von einer schweren Bauch-Operation und kann kaum richtig sprechen. Jetzt hockt er auf einem Stuhl vor seinem Haus und raucht eine Zigarette.
„Es geht dir offenbar besser?“ fragen wir.
„Wie ihr seht“, antwortet er, und es ist durchaus böse gemeint. „Seid ihr bereit, zurückzukehren, in das Land mit der besten Gesundheitsversorgung?“
„Als Unternehmer würdest du auch in Deutschland schon wieder arbeiten müssen. Ob du da aber so viel Geld in Kunst hättest investieren können…“
„Das konnte ich mir auch hier eigentlich nicht leisten. Es hätte mich fast ruiniert. Inzwischen verbiete ich mir, Galerien zu besuchen.“ Marks heiseres Lachen geht in einem Hustenanfall unter. „Dabei gibt es verdammt gute Künstler in Brighton. Kennt ihr Sam Hewitt?“
„Nein, nicht persönlich. Wir haben einige seiner Bilder gesehen.“
„Ein toller Typ. Ihr solltet ihn unbedingt treffen für eure Serie. Ohh, Mist“, kommentiert er seinen eigenen Vorschlag mit einem kleinen garstigen Lächeln, „ihr fahrt ja morgen zurück. Ihr müsst unbedingt wieder kommen. Es gibt noch einiges zu erzählen über diese verrückte Stadt.“
Eine Bühne für jeden Lebensstil: Straßenmusiker in den North Lanes und die Exzentrik des Königs
.
Hinweis: Die Recherchereisen für diesen Blog werden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien, Reedereien und/oder PR- bzw. Tourismus-Agenturen. Unsere journalistische Freiheit bleibt davon unangetastet. Wir danken Visit Brighton und den wundervollen Menschen dieser Stadt.