Saigon

Buch-Tipp: Kommissar Ly ermittelt wieder in Vietnam – „Der letzte Tiger“

Marktstand ©Nora_Luttmer

Traditionelle vietnamesische Medizin: ein Marktstand mit „allerlei“ Heilmitteln

Wir treffen uns im Sommer, sitzen an einem warmen August-Tag auf einer Holzbank vor dem „Marinehof“ in Hamburgs Neustadt. Es ist nur ein kurzes Treffen, denn Nora steckt in der letzten Phase ihres zweiten Romans und ist eher mäßig gut gelaunt: Es gibt mehr zu tun als sie gehofft hatte. Das ist das typische Dilemma des Schreibens, den Terminen immer hinterher zu hecheln. Ein Fluch, den man mit dem Segen bezahlt, an manchen Tagen einfach mal spazieren zu gehen, obwohl man eigentlich am Schreibtisch sitzen müsste.

Ich kenne Nora aus alten Geo Saison-Zeiten, mehrfach war sie die Info-Autorin für größere Vietnam-Geschichten. Nora kennt sich sehr gut aus in dem Land, spricht die Sprache, hat lange in Hanoi gelebt. Und da spielt auch ihr erster Roman „Schwarze Schiffe“. Darin lernen wir Hauptkommissar Pham Van Ly kennen, er ist ein typischer Einzelkämpfer, Mitte 40, Vespa-Fahrer, und er hat den Mord an einer jungen Frau aufzuklären, deren Leiche in einem taoistischen Tempel aufgefunden wurde. Ein spannendes Buch.

Nora im Interview  Nora in Hamburg
Auf der Fleetinsel in Hamburg: ein Kaffee mit Autorin und Vietnam-Expertin Nora Luttmer

Besonders aber hat mir an ihrem Erstling die Intensität gefallen, mit der sie die Stadt beschreibt, die Landschaft, die Gesellschaft. Immer wieder blitzt Noras Wissen über Vietnam auf. Wer nicht nur einen Krimi lesen will, sondern wirklich interessiert ist an diesem verrückten Land, begleitet Kommissar Ly mit besonderer Neugier durch die Gassen und über die Plätze Hanois – und wird später beim eigenen Besuch die gleichermaßen provinzielle wie aufregende Hauptstadt anders sehen.

Mit ihrem zweiten Buch öffnet uns Nora die Augen noch etwas weiter. In „Der letzte Tiger“ geht es um ein Phänomen der vietnamesischen Gesellschaft, das auch mich fasziniert hat, als ich vor zwei Jahren eine Reise durch das Land gemacht habe: der Glaube der Vietnamesen an die Heilkraft pflanzlicher wie tierischer Salben, Pillen, Essenzen. Auf allen Märkten gibt es solche Präparate zu kaufen. Ich fand das einfach skurril.

Hanoi Streetfood ©Nora_Luttmer  Son La Provinz ©Nora_Luttmer
Recherche-Reise: ein Straßen-Lokal in Hanoi und eine Berg-Straße irgendwo im Hinterland

Doch Nora wusste mehr. Sie erzählte, nicht nur einfache Menschen glaubten daran, dass Nashorn-Pulver bei Krebs hilft, Schlangen-Schnaps bei Potenzproblemen, genau so wie Tiger-Tropfen, die zudem stark machen. Selbst gebildete Freunde und Bekannte hätten solche Medikamente – ganz hinten – im Kühlschrank stehen. Und dass eigentlich alle in Kauf nehmen, was die Folge dieses volkstümlichen Irrglaubens ist – das Aussterben einiger Tierarten. So wurde 2011 das letzte Nashorn in Vietnam tot aufgefunden. Ohne Horn.

Die Kellnerin bringt unsere Kaffees. Nora löffelt die aufgeschäumte Milch, streicht eine Haarsträhne zurück und berichtet von ihren Recherche-Ergebnissen: Dass die Wilderer in den entlegenen Gebirgsregionen an der vietnamesisch-laotischen Grenze vom Aberglauben der Städter profitieren. Es habe sich ein Schwarzmarkt um geschützte Wildtiere entwickelt. Polizei und Behörden stecken mit drin. Und wie so oft sei besonders begehrt, was es am wenigsten gebe. Nora sagte, es sei nur eine Frage der Zeit sei, bis nach dem letzten Nashorn auch der letzte Tiger diesem Wahn zum Opfer falle…

Saigon
Im Reich der Mopeds: typische Straßenkreuzung, gefahren wird vor allem zweirädrig

Jetzt ist also Nora Luttmers zweiter Kommissar Ly-Roman erschienen, Titel: „Der letzte Tiger“. Erst wird ein Freund des Kommissars tot aufgefunden, der Tierpfleger sei an einem Stromschlag gestorben, so heißt es. Doch Ly glaubt nicht daran. Dann wird mitten in Hanoi der Fahrer eines Autos tot aufgefunden, zerfleischt von einem Tiger, der offenbar in dem Wagen transportiert wurde. Kommissar Ly erkennt bald, dass beide Fälle miteinander zu tun haben. Seine Ermittlungen führen ihn in alle Kreise der vietnamesischen Gesellschaft, in ihre dunkelsten und gefährlichsten Schichten und in entlegene Regionen des Lands, wo sogar die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Es heißt, das an der Grenze zu Laos lebende Volk der Hmong werde noch immer von den USA unterstützt, um den sozialistischen Staat zu unterwandern.

Mehr soll hier aber nicht verraten werden. Nur so viel sei gesagt: Es ist ein tolles Buch, spannend, lebendig, lehrreich. Es bietet tiefe Einblicke in ein nicht immer leicht zu verstehendes Land. Ich wünsche: viele Leser!

Nora Luttmer, Der letzte Tiger, Aufbau Verlag, 9,99 Euro. Hier der Link zur Website der Autorin, mit Leseprobe und Bestellfunktion.