Reise nach Indien: ein wundervoll kompliziertes Land

Strassenszene in Delhi

Ein Paar auf Reisen: Rikscha-Fahrer – das beste Fahrzeug in Delhi – warten auf Kundschaft

Ein Bericht von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)

Anfangs fanden wir es, nun ja, amüsant. Dass uns in Delhi, etwa am India Gate oder vor den Ruinen in der Ausgrabungsstätte Qutb Minar, immer wieder Männer ansprachen: „Have a photo with you and me…“ Wildfremde wollten mit Susanne und mir fotografiert werden. Einmal haben wir es gemacht, offenkundig ahnungslos. Beim zweiten mal auch, doch wurden dann hellhörig, als es erst hieß: „Make a photo with you two.“ Und dann: „Make a photo only with you.“ Dabei zeigte der kleine Mann auf Susanne. Hä? Was geht hier ab? Zieh Leine…

Ab dem Zeitpunkt achteten wir deutlicher auf das Verhalten indischer Männer. Und dabei sind uns viele der Muster aufgefallen, die in hintergründigen Artikeln über Rollenklischees in dieser Gesellschaft immer wieder dargestellt wurden: Dass es einen krassen Widerspruch gibt zwischen tradierten Strukturen und modernen Tendenzen, so ist es einerseits nahezu unmöglich, aus niederen Schichten aufzusteigen, die Gesellschaft gilt – wie viele – als hermetisch. Doch andererseits können Frauen ganz selbstverständlich in Indien eher politische Karriere machen als woanders. Im Alltag fiel uns oft auf, dass es extrem von der Umgebung abhing, ob Susanne angegafft oder respektiert wurde. In Delhi kam es immer wieder zu Situationen wie der oben beschriebenen. Im Pilgerzentrum Rishikesh nie.

alle wollen sie sich mit Dirk fotografieren lassen  die jungen Männer setzen sich neugierig zu uns

Touristen-Foto vor dem India Gate  ein Luftballonverkäufer wartet auf Kundschaft

beliebtes Freizeitvergnügen in Delhi: Boot fahren   das Humayun Grab
Ein Tag in Delhi: drei kleine Männer und ein langer; ziemlich beste Freunde (leider ohne deutsche Frau); Touristenpolizei am India Gate; Qutb Minar als farbenfrohe Kulisse eines Bollywood-Films; Spaß auf einem Teich; das Hamayun-Mausoleum diente als Vorbild für das Taj Mahal

Warum wir uns überhaupt mit diesem Thema befassen? Erneut planen wir eine Trekking-Tour zum „Nanda Devi“ im Norden des Landes. Der 7816 Meter hohe Berg, dessen Name übersetzt bedeutet: Göttin der Freude, ist vielen Indern heilig. Und er beeindruckt mit einer mehr als 3000 Meter hohen Steilwand. Allein ihr Anblick soll Ehrfurcht einflößend sein. Den Berg zu besteigen ist verboten. Wir wollen uns bloß der emotionalen Wucht dieses Ortes stellen. Schon bei unserer ersten Auseinandersetzung mit dem Berg als Reiseziel (hier der Link zum Artikel), haben wir vor allem Schiss gekriegt. Zum ersten Mal kam der Reise-Blues – bevor wir überhaupt unterwegs gewesen sind.

Dabei halten wir Indien gar nicht für ein gefährliches Land. Zwar macht das Auswärtige Amt deutsche Staatsbürger auf Unruhen in diversen Staaten aufmerksam, auf Sabotage-Akte, aggressive Trick-Betrüger und auf „vermehrt sexuelle Übergriffe auch gegenüber Ausländerinnen“. Doch solche Hinweise finden sich auch zu anderen Zielen.

Etwas verstörender sind die Empfehlungen des britischen Außenministeriums an alleinreisende Frauen: Achte auf deine Kleidung, trag einen Ehering, verrate Fremden nicht, wo du hin gehst, wo du wohnst, informiere offizielle Stellen (Hotel, Polizei, Veranstalter) über deine Reisepläne, schließe die Tür deines Hotelzimmers immer ab, sei vorsichtig, lass dir keine Drinks ausgeben, es häufen sich Meldungen über Männer, die k.o.-Tropfen nutzen. In den Medien findet man dann aber den Bericht einer Frau, die mehrere Wochen allein durch Indien gefahren ist und unbehelligt bliebt. Aber auch den Bericht einer Frau, die im Nachtzug erleben musste, wie ein Mann in der Abteiltür stand, sie ansah und onanierte; ohne dass jemand einschritt. Wer sich scheut, das Land allein zu besuchen, sollte überlegen, die erste Indien-Reise mit Freunden zu unternehmen. Oder in einer Gruppe, auf dieser Website findet man eine Übersicht vieler Anbieter.

Sonnenuntergang in Rishikesh

Rote Pracht am Heiligen Fluss: Parmath Niketan heißt das bekannteste Ahram in Rishikesh

Seit den sexuellen Übergriffen gegen Frauen hat sich die Zahl der Indien-Reisenden drastisch reduziert, es heißt um rund 25 Prozent. Wir hatten uns davon nicht abschrecken lassen. Unser ursprünglicher Plan, im Oktober 2012 das Naturheiligtum Nanda Devi zu bereisen scheiterte aus organisatorischen Gründen, im vergangenen Jahr hatten wir nicht genug Geld, waren aber dazu bereit. Jetzt hängen wir erneut über den alten Reiseplänen und studieren die Optionen. Und, es ist verrückt, das alt-bekannte Gefühl kommt wieder.

Denn völlig unabhängig davon, dass in Delhi manche Männer lieber mit Susanne auf’s Foto wollten als mit mir (aber, mhmm, wer kann es ihnen eigentlich verdenken?), haben wir da auch Gastfreundschaft erlebt, an die wir uns heute noch gern erinnern: Etwa an den Mann, der mit uns stundenlang durch die Gassen der Altstadt von Delhi gezogen ist, uns Gewürze und Speisen probieren ließ, Süßwaren und Nüsse, der uns zu Papierschöpfern und Druckern schleppte, Korbflechtern und Rikscha-Fahrern, und sich dann kaum dafür bezahlen ließ.

das Ganga Aarti wird mit viel Gesang am Ganges gefeiert   Susanne darf mit am Feuer des Ganga Aarti sitzen
Musik und Rituale: Schon die Beatles waren zu Gast beim Ganga Aarti in Rishikesh

Oder an die Mönche im Ashram von Rishikesh, in dem sich schon die Beatles für ihre Musik haben inspirieren lassen, und in dem sich die in Orange gekleideten Männer mühten, dass wir einen guten Blick haben auf die allabendliche Zeremonie Ganga Aarti. Sie boten Susanne sogar einen Platz in der ersten Reihe an, und sie durfte Wacholderzweige in das reinigende Feuer werfen. Hach, je mehr wir darüber nachdenken, desto mehr freuen wir uns auf Indien – auf eine Reise in dieses wundervoll komplizierte Land. Und, nein, wir werden dem Affen kein Futter geben.

ein Affe springt am Strassenrand umher .

Feuerwerk_pushresetHinweis: Dieser Artikel entstand in Kooperation mit dem linkgebenden Portal www.studienreisen.de. Für ein Online-Angebot wie push:RESET sind solche neuen Formen der Zusammenarbeit unverzichtbar. Unsere journalistische Freiheit bleibt davon unangetastet, der Inhalt des Beitrags stellt zu 100 Prozent unsere Meinung dar.