Pooldeck im Rampenlicht: Für eine Talkshow wird die Europa 2 zum Fernsehstudio
Wie bringt man ein Groß-Ereignis wie die Fußball-Weltmeisterschaften 2014 an Bord eines Schiffes? Hapag-Lloyd Kreuzfahrten setzt auf Experten-Talks und lädt prominente TV-Moderatoren und Ex-Spieler ein. Wir erleben die ersten Spiele auf der mondänen “Europa 2″
Ein Reisebericht von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
„Oh Gott, was ist denn mit dem Pooldeck passiert?“ Die Dame trägt eine weiße Bluse, ein Tuch mit maritimen Motiven und als Frühstücksschmuck eine feingliedrige Goldkette. „Wir gehen gleich auf Sendung“, antwortet ein junger Mann in Dreiviertelhose und schwarzem T-Shirt, seine Arme sind tätowiert, die Haare lang, und um den Hals baumelt ein schweres Headset. Er ist einer der Tontechniker und jetzt in den letzten Vorbereitungen für die Sendung „Doppelpass“ mit Moderator Jörg Wontorra. Der „Fußball-Talk“, der für gewöhnlich sonntags um 11 Uhr auf Sport 1 zu sehen ist und dafür in einem Fernsehstudio in München produziert wird, kommt diesmal live von der MS Europa 2.
Schwarze Sessel, Dekogrün und eine klare Ansage an alle Zuschauer: Achtung, Live-Sendung!
Die ganze Nacht hat man gearbeitet. Die Bühne, die über den Pool geschoben werden kann, und auf der an manchen Abenden die bordeigene Band spielt, wurde zur temporären Talk-Arena umgebaut, schwarze Sessel stehen im Halbrund, flankiert von Grünpflanzen. Drumherum steht die ganze Technik, die man sonst in einem Studio findet: Zusatzscheinwerfer, Kontrollmonitore, diverse Kameras, sogar ein Kran für Schwenks über das Deck. Kilometerweise Kabel schlängeln sich zu den Übertragungswagen, die vor der Europa 2 im Hafen Kiels stehen, zwei große Sattelschlepper voller Technik und mehrere Kleintransporter mit Satellitenschüsseln. Es ist verblüffend, welcher aufwand für eine Fernsehsendung betrieben werden muss, der dominiert sogar die Abläufe eines Kreuzfahrtschiffs. Erst recht wenn es um eine der schönsten Nebensachen der Welt geht – Fußball.
Doch was hat ein Fußball-Talk auf einem Luxus-Kreuzfahrtschiff zu suchen? Wer seine Klischees bemüht – und offenbar halten sich einige besonders hartnäckig –, verbindet den gut betuchten See-Reisenden eher mit Sportarten wie Shuffleboard und Golf. Und dieselben Klischees werden Urlaubern, die bereit sind, 500 Euro pro Person und Nacht für eine Suite zu zahlen, nur begrenzte Begeisterungsfähigkeit für Gemeinschaftserlebnisse attestieren. Und doch hat sich Hapag-Lloyd auf das Abenteuer Fußball-Weltmeisterschaft eingelassen. Klar, man hat große Monitore, bzw. Beamer an Bord installiert, um alle Spiele zeigen zu können. Das haben andere Kreuzfahrt-Anbieter auch getan. Darüberhinaus wurden TV-Größen eingeladen, die auf MS Europa und ihrer modernen Schwester MS Europa 2 zu Talk-Runden abhalten. Eine halbe Stunde vor den jeweils wichtigen Spielen laden Jochen Sprentzel auf der Europa und Jörg Wontorra auf der Europa 2 zum Experten-Gespräch.
Mann mit vielen Leidenschaften: Fußball-Experte, Golf-Fan, Kreuzfahrer – Jörg Wontorra
Im „Herrenzimmer“, einer auch bei Frauen recht beliebten Bar auf der Europa 2, in der man nicht nur aus mehr als 30 Gins wählen kann, sondern auch rauchen darf, sitzt uns jetzt Jörg Wontorra gegenüber. Ein Bulle von einem Kerl, ein Mann, der immer unter Strom zu stehen scheint, und der doch ganz gelassen mit der Situation an Bord umgeht. Er hat schon so viele TV-Sendungen gemacht, das ganze Tohuwabohu um ihn herum bringt ihn nicht aus der Ruhe. Er zündet sich eine Zigarette an und ist bereit zum Gespräch.
Kunst und gute Worte: Im “Herrenzimmer” hängen die Bilder des Norwegers Svein Bolling, das Phrasenschwein müssen die Talk-Show-Gästen füllen – mit Geld für einen guten Zweck
Wontorra erzählt, wie er vor einem Jahr gefragt wurde, was er von dem WM-Konzept halte, und ob er dafür zu gewinnen sei. Und dass er sofort zugesagt habe, schließlich sei er ein großer Kreuzfahrt-Fan. „Ich liebe es, auf See zu sein. Ich habe schon sieben Kreuzfahrten gemacht. Ich habe mich sofort committed und gar nicht mehr auf andere Angebote spekuliert, wie man das im Fernseh-Geschäft oft macht.“ Wontorra hat gleich auch sein Netzwerk aus Fußballexperten als Gesprächspartner in die neue Aufgabe eingebracht und aktiv das Konzept der WM-Talks mitgestaltet.
Hatte er denn nie Zweifel, ob das überhaupt funktionieren würde, fünf Wochen lang auf einem Luxuskreuzfahrtschiff über Fußball zu räsonnieren? Nie die Sorge gehabt, im ungünstigsten Fall recht einsame Abende an Bord zu verbringen? „Nein. Natürlich erwartet ich hier nicht die wilde Leidenschaft des Stehplatzkarten-Inhabers. Aber es gibt einige Parallelen zwischen Kreuzfahrtgästen und den Zuschauern unserer Sendung – wir haben viele junge und viele ältere Zuschauer ab 50. In den Lebensjahren dazwischen scheinen andere Themen wichtiger zu sein. Das Publikum ab 50 findet man auch hier an Bord.“
Einfach eine gute Show: Jörg Wontorra und seine Experten sorgen für Unterhaltung im Theater
Am ersten Abend sei er noch ein wenig verblüfft gewesen über die wenigen Besucher im Theater. Doch es war ein milder Abend und ein vielleicht nicht für jeden gleichermaßen verheißungsvolles Eröffnungsspiel. „Aber inzwischen bin ich begeistert über den Zuspruch. Selbst Spiele, von denen ich mir nicht viel erwartet habe, locken viele Neugierige zu unseren Talks. Es wird sich rumsprechen, dass wir hier einen guten Job machen.“ Auch Susanne und ich waren angetan. Eigentlich sind wir keine allzugrooooßen Fußball-Fans. Wir mussten ganz schön viel googlen, um unser Wissen über die Weltmeisterschaften der vergangenen Jahre aufzufrischen. Und das haben wir getan, weil wir befürchteten, sonst bei den Talk-Runden gar nicht mithalten zu können.
Doch Wontorra will gar nicht über Details bei der Auslegung der Abseits-Regel diskutieren oder unter Zuhilfenahme von Einspielfilmen die Leistung der Schiedsrichter hinterfragen. Er will eher unterhalten als bierernste Debatten zu führen. Und das funktioniert mit seinen ersten Gästen – Rainer Bonhoff, Horst Heldt und Heribert Bruchhagen – ganz wunderbar. Mit seinen ersten Gästen? Während Wontorra die ganze Zeit über an Bord bleiben wird, wechseln sich seine Diskussionspartner ab.
Der Ansatz aber bleibt gleich: „Wir schaffen die Voraussetzungen für ein Gemeinschaftserlebnis. Klar, weniger wichtige Spiele wird man in der eigenen Suite sehen oder am nächsten Tag in der Bordzeitung nachlesen. Doch bei den großen Momenten will man zusammen fiebern.“ Die Wurzeln für diese Fußball-Begeisterung seien zurück zu führen auf das Sommermärchen 2006. Mit Public-Viewing-Partys habe Deutschland etwas Neues in die WM-Geschichte gebracht, das gab es vorher so nicht. Dieser Geist lebe noch. „Ja, auch an Bord dieses wunderschönen Schiffes.“
So langsam drängt die Zeit. Wir wollen noch wissen, woher Wontorras Begeisterung für das Reisen kommt. Er erzählt von seinem Vater, der bei der Bahn gearbeitet hat und immer unterwegs war, von dem er die Rastlosigkeit geerbt habe. Er erzählt von seiner Kindheit in Bremen-Vahr, und dem Fernweh, das der Anblick des Meeres immer in ihm ausgelöst hat. Und er erzählt von seinem Beruf als Fernweh-Moderator für große Sportevents, der allein auf den dafür nötigen Dienstreisen in 77 Länder gekommen ist. Und der sich vorgenommen hat, all die noch einmal zu besuchen, die er nicht ausgiebig genug kennen gelernt hat, und einige zu besuchen, in denen er noch nicht gewesen ist – etwa Honduras und Costa Rica, Vietnam und Hongkong. Und, ja, immer per Schiff. Auch wenn es anfangs gar nicht so leicht gewesen sei, seine Frau davon zu überzeugen, ihn zu begleiten. Er erinnert sich noch, wie sie zum ersten Mal an Bord gegangen sind. „Es war Windstärke Null“, lacht Wontorra, „und meine Frau sagt: Das schwankt aber ganz schön…“
Jetzt spürt man doch eine gewisse Ungeduld beim Fernsehprofi. Und als jemand zu ihm kommt, ihn mit ein paar Infos versorgt, will Jörg Wontorra wissen, ob wir es jetzt haben. Wir nicken. Sagen dann aber, vielleicht noch eine Frage: Was sei eigentlich sein Lieblingsplatz auf dem Schiff? Er denkt nach. Die Sushi-Bar gefalle ihm. Das sei ein Ort irgendwo zwischen drinnen und draußen. Doch dann schüttelt er den Kopf. „Ach Quatsch! Natürlich der Golfsimulator. Golf ist nach Fußball meine zweite Leidenschaft.“ Und er stürmt Richtung Pooldeck.
Kleine Kanone, große Momente: “Barbara” und die Skulpturen von Ottmar Hörl auf Deck 9, Rügens Kreidefelsen im Abendlicht und der Rauch des Saluts zum Abschied aus Wismar
Während da die Sendung läuft, machen wir uns an den Abschied. Es war nur eine Kurzreise, von Kiel über Wismar, Bornholm und Heringsdorf zurück nach Kiel. Wir haben viele schöne Momente erlebt, etwa als dem Kapitän zum Erstanlauf in Wismar eine Plakette geschenkt wird und man ihn bittet, einen Backstein zu signieren. Als die Mitglieder des 1. Musketierbataillons Wismar zum Auslaufen Salut schießen und ihre „Kleine Barbara“ zünden. Als Susanne zum Abschied von Bornholm unter Aufsicht von Kapitän Ulf Wolter das Schiffshorn bedienen darf und wir auf dem Weg zum Abendessen jener Kellnerin begegnen, die während unserer Reise in die Antarktis mit der MS Bremen an unserem Tisch bediente. Als wir uns in Vorbereitung auf eine Kunst-Führung durch das Schiff einige der fast 900 Werke an Bord ansehen, die die Ausnahmestellung der Europa 2 zeigen, denn es gibt hier keine Seestücke sondern vor allem moderne Kunst, etwa von Mathias Bothor und Svein Bowling, Zander Olsen und Gerhard Richter. Und als im Abendlicht die Kreidefelsen Rügens strahlen, wie man sie so noch nie gesehen hat.
Vielleicht ist es ja das, was an dieser kleinen Fußball-Kreuzfahrt so begeistert: Dass es all die großartigen Momente, für die man so gern auf ein Schiff geht, dass es die auch noch gibt. Und so bleibt der Fußball, egal wie aufwändig man ihn auch in Szene setzen mag, am Ende doch, was er ist – die schönste Nebensache der Welt. Es zählt das Glück der Reise.