Ein Paar auf Reisen: Blick vom Gelbhansekopf auf Balderschwang
Ein Reisebericht von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
1. Teil: Bayrisch-Sibirien nennt man diese Region im Allgäu. Wir erleben prächtige Spätsommertage im höchsten Dorf Deutschlands. Und mit dem „Hubertus“ ein Hotel, das sich Lodge nennt und nichts geringeres ist – als ein Refugium
„Meine Mutter hat mich besucht und war entsetzt. `Junge´, fragte sie, `wie kannst du hier nur leben. In dieser Kälte?´ Dabei war sie gar nicht im Winter da“, sagt Prosper und lacht. „Aber ich liebe diese Kälte. Ich schlafe selbst dann bei offenem Fenster, wenn es schneit. Und es kann hier viel schneien in Bayrisch Sibirien.“
Prosper hat uns mit dem Hotel-Bus vom Flughafen abgeholt. Er trägt eine Weste mit Janker-Kragen. Das ist aber auch das einzig offenkundig bayerische an ihm. Höflich fragen wir von der Rückbank: „Aus welchem Land kommst du?“
„Aus Nigeria.“
„Wie heiß wird es da?“
„Ach, 40 Grad und mehr. In Nigeria ist es nie kälter als 30 Grad.“
„Hast du lange gebraucht, um dich an die Temperaturen hier zu gewöhnen?“
„Überhaupt nicht. Schnell war mir klar: Ich liebe den Winter. Und wenn ich jetzt nach Hause fahre, meine Familie besuchen, dann immer in den kühleren Monaten. Es ist mir sonst zu heiß“, sagt Prosper und lacht. Er schaltet in den dritten Gang und dreht sich kurz zu uns. Auch wir müssen lachen. Wir sitzen in dem dunkelbraunen VW-Bus, hinter den Fenstern fliegt der Bregenzer Wald vorbei. „Ich freue mich schon auf den Schnee. Dann kann ich wieder Snowboard fahren. Ihr müsst mal im Winter kommen…“
Kleines Halo: Per Turboprop geht es von Hamburg nach Friedrichshafen
Noch ist der Herbst so golden, dass er sich wie eine Verlängerung des Sommers anfühlt. Die Sonne scheint bei 20 Grad. Und Bayrisch Sibirien präsentiert sich als Bayrisch Sizilien, die Grillen zirpen, in der Luft liegt der würzige Duft eines heißen Tages im Wald. Beste Vorzeichen für unser Wochenende in der Alpin-Lodge Hubertus. Als Paar auf Reisen freuen wir uns auf dieses besondere Hotel, über das manche sagen, es gehöre zu den besten Resorts in Deutschland.
Luftlinie: 820 Kilometer
Als wir am Morgen in Hamburg ins Flugzeug stiegen, war es kühl und grau. Je weiter südlich uns die Turboprop-Maschine trug, desto schöner wurde das Wetter. Wir knurpselten Schokokekse auf weißen Ledersitzen und genossen einen aussichtsreichen Flug. Bis die Maschine über Friedrichshafen in Wolken verschwand, nicht einmal der Bodensee war zu sehen. Das Land ist kalt, das Wasser warm, in Folge des Temperaturunterschiedes hat sich dichter Dunst bildet.
Die Liebe zu den Bergen: Prosper kam vor acht Jahren aus Nigeria
Längst haben wir den See hinter uns gelassen. Rund eine Stunde dauert die Fahrt von Friedrichshafen hinauf nach Balderschwang, 820 Kilometer südlich von Hamburg. Das Dorf in den Allgäuer Alpen bietet so manche Einzigartigkeit in Deutschland: der höchst gelegene Ortskern, die höchste je gemessene Niederschlagsmenge (zum Großteil übrigens als Schnee), und erst seit dem Bau der Passstraße in den 1960er Jahren muss man nicht mehr über Österreich fahren um den Ort in 1044 Meter Höhe zu erreichen.
Viel Holz vor der Hütten: Das „Hubertus“ verbindet Alpenarchitektur und Moderne
Ein Dorf wie aus dem Bilderbuch, etwas mehr als ein Dutzend Häuser an einer frisch asphaltierten, pechschwarzen Straße. Ein spitzer Kirchturm, eine Feuerwehrstation, ein Platz, ein Brunnen. Bäume, die sich zu rotleuchtenden Tupfern gruppieren auf satt grünen Hängen. Bis etwa 1500 Meter erheben sich die Berge, auf den ersten Blick zeigen sie sich als freundliche Charaktere. Und dazu passen auch ihre Namen: Haidenkopf, Girenkopf, Feuerstätterkopf, Brustkopf, Gelbhansekopf.
Küsst der Sommer den Herbst…
Das ihnen zu Füßen liegende Hubertus präsentiert sich auch als starker Charakter: eine goldgelbe Holzfassade, die alpenländische Architektur mit modernen Einflüssen kombiniert, Balkone wie Kuben, grauglänzendes Lärchenholz, ein lichtdurchflutetes Erdgeschoss mit bodentiefen Fenstern. Zwischen aufgeschichteten Scheiten von Kaminholz stehen die Stühle und Tische des Hotelcafés. Und Tafeln mit Sinnsprüchen. Manche sind kitschig, andere nur lieblich-naiv: „Küsst der Sommer den Herbst, erröten die Bäume.“
Angekommen: Bett mit Herz und Terrasse mit Kirchturmblick
Ein Tag mit vielen Ab- und Anreisen. Und bei aller Routine, die das Team mit voll gebuchten Wochenenden zu haben scheint, verblüfft doch die Freundlichkeit, mit der wir empfangen werden. So sitzen wir bald draußen in der Sonne, lassen die Gläser unseres Begüßungs-Sekts klingeln und füllen das Anmeldeformular aus.
Klimaanlagen-verrückt und Badezimmer-crazy…
Wir sind oft in Hotels. Wir portraitieren Häuser als reisendes Paar, bewerten aus Experten-Perspektive. Und beginnen unsere Reise mit Fragen: Wie lange müssen wir warten, bis sich jemand um uns Neuankömmlinge kümmert? Werden wir aufs Zimmer gebracht? Erklärt man uns, wie alles funktioniert? Susanne ist klimaanlangencrazy, macht erst wärmer, dann kälter und schließlich meist aus (ich halte mich da raus). Ich selbst bin ein Bad-Neurotiker, hasse Duschen, deren Armaturen ich nicht kapiere (es ist so erniedrigend, nackt an den Reglern zu drehen, und dann läuft es einem kalt über den Kopf). Wird uns alles erklärt? Wie funktioniert die Minibar? Wir prüfen, wie lange wir aufs Gepäck warten müssen und wann die weiteren Termine – Spa-Treatments, Abendessen – mit uns abgestimmt werden.
Pool-Tattoo: Das Wasser ist 32 Grad warm
In fast allen Punkten erzielt das Hubertus Bestwerte. In fast allen. Dass die Mini-Bar nur auf Wunsch befüllt wird, bemerken wir zu spät. Da waren wir von unseren Nachmittagsaktivitäten zurück, hatten den Kampf mit der garstigen Dusche gewonnen (ein kleiner, sehr schwergängiger Ring lenkt den Wasserstrom entweder gegen den Bauch oder auf den Kopf) und lagen in den flauschigen Hotel-Bademänteln matt auf dem Bett. Draußen hämmerte die Kirchenglocke sieben mal, und wir hätten uns gern ein Bier geteilt.
Meister im Spa: Andreas begradigt Dirk, Sabine ölt Susanne
Aber, mei, das ist Gemecker auf hohem Niveau. So mault wer sonst nix zu maulen hat in einem Zimmer mit Holzdielen, bodentiefen Fenstern und umlaufender Terrasse, mit halbbegehbarem Kleiderschrank und Ecksofa, mit großem Bad (Wanne und Dusche) und einem von diversen Vorhängen umgebenen Bett, das so zum Rückzugsort im Refugium wird. Von dem aus man in aller Ruhe all die verrückt wundervollen Design-Details entdecken kann: eine Holzwand wie ein Setzkasten, einzelne Fächer gefüllt mit alpinen Artefakten wie Hörnern, Holzbündeln, über dem Bett ein leuchtendes Herz.
Alpine Wellness: Kräuteraufguss in der Sauna, Pool mit Kuh, ein Hamburger am Berg
Für den Nachmittag trennen wir uns. Susanne sucht Entspannung im Spa, hat sich für eine am Ayurveda orientierte Massage entschieden und verbringt viel Zeit in Saunen, Dampfbädern und im Pool. Ich werde von Physiotherapeut Andreas durchgeknetet. Er sagt, dass meine linke Körperhälfte ein wenig verkürzt ist und empfiehlt eine Übung. Danach erfahre ich per Mountainbike (mein Leih-Rad ist ein Trek „Superfly“, ein Carbon-Hardtail mit Shimano XT und 29er Laufrädern), wie garstig Berge sein können, die man anfangs für harmlose Charaktere hielt. Bis 21 Prozent steil sind die ruppigsten Anstiege, ich kurbel mir die Seele aus dem Leib auf dem Weg hinauf zum Riedbergpass und springe bei der Abfahrt auf einem steilen Single-Trail dann doch noch vom Rad, der Norddeutsche in mir hat Schiss gekriegt. Dennoch liebe ich diese körperliche Form der Aneignung, sich eine Landschaft zu erarbeiten. Danach begegnet man ihr mit mehr Respekt.
Eine Stube für Genießer: Rustikale Möbel und Flank Steak auf Sellerie-Mousse
Und jetzt sitze ich mit umso größerem Appetit im Restaurant. Man hat uns einen netten Tisch in der Stube zugewiesen. Sie ist die Keimzelle des Hubertus, der Ort, an dem die Geschichte dieses Hotels seinen Anfang nimmt. Die erzählen wir im nächsten Beitrag unseres zweiteiligen Portraits, das damit beginnen muss, dass die Zeit stehen bleibt in Balderschwang. Denn der Küster ist gestorben, noch kein Nachfolger bestellt, und im Dorf haben sie die Kirchturmuhr vergessen.
Wenn die Zeit ausbleibt
Das Essen kommt. Als Entrée wird Hirschfilet mit Rotkohlsalat serviert, als Vorspeise eine Spinatcremesuppe mit Wachtelspiegelei. Aus den drei Hauptgerichten entscheidet sich Susanne für den Pfifferlings-Kartoffelgröstel, ich für das gegrillte Flank Steak mit Kirschtomaten und Selleriemousseline. Und wir erleben einen genussreichen Abend, der schon kurz vor zehn Uhr abends endet. Wundervoll müde nach einem erfüllten Tag.
Vom Glück der späten Stunde: Im goldenen Abendlicht strahlen die Berge
Hinweis: Die Recherchereisen für diesen Blog werden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien, Reedereien und/oder PR- bzw. Tourismus-Agenturen. Unsere journalistische Freiheit bleibt davon unangetastet. Wir danken dem Hotel Hubertus und den wundervollen Menschen in Balderschwang.