Stille See zwischen zwei Stürmen

Kreuzfahrt in die Antarktis: Eine Welt aus Eis und Licht

Sonnenuntergang auf dem Weg aus offene Meer

traumhaft – Sonnenuntergang über dem Südpazifik

irreale Farben über dem Südatlantik

Das Licht am anderen Ende der Welt: Sonnenuntergang über dem Südatlantik

Ein Reisebericht von Susanne Baade und Dirk Lehmann

Übermut? Ist es das, was unseren Kapitän treibt? Jedenfalls hören wir ihn durch die Lautsprecher sagen, dass er das Schiff wenden lässt, dass wir ein paar Seemeilen in die falsche, in die Gegenrichtung fahren werden, damit auch die Gäste auf der Steuerbordseite diesen Sonnenuntergang sehen können. Dann dreht die „Bremen“, und wir, die wir bisher auf der falschen Seite saßen, erkennen plötzlich, was gemeint ist. Wir sehen Farben, wie sie zauberhafter nicht sein können. Als Postkarte wäre der Anblick schlimmster Kitsch, doch live ist er von atemberaubender Schönheit. Nein, dieser Kapitän hat nichts von einem Hallodri. Er hat eher etwas von einem Romantiker.

In den nächsten Tagen werden wir noch andere Seiten von Mark Behrend kennen lernen. Doch erst gilt es sich zu orientieren auf dem Schiff, das uns bis zur Antarktischen Halbinsel bringen wird. Anfangs nehmen wir Kurs auf die Falkland Inseln, dann drehen wir nach Osten mit Ziel Süd-Georgien und fahren von da, in etwa entgegengesetzt der Route Shackletons, als der Hilfe holte für die zurückgelassenen Männer seiner gescheiterten Antarktis-Durchquerung, bis Elephant Island. Auf der Rückreise durchqueren wir die für ihre heftigen Stürme berüchtigte Drake-Passage und umrunden das Kap Hoorn, im argentinischen Ushuhaia endet unsere Kreuzfahrt. Auf unserer Reise werden wir Albatrosse und Pinguine sehen, Seelöwen und Wale, die ausgefransten Schaumkronen der Wellen und die scharfen Kanten der Eisberge. Und je näher wir dem Südpol kommen, desto heller werden die Nächte.

Ausfahrt aus dem Hafen Montevideos   unser Zuhause für die nächsten drei Wochen

stolz besteigen wir die MS Bremen    ein Sturm kündigt sich an
Beginn einer neuen Reise: Mit der MS Bremen geht es von Montevideo bis zur Antarktischen Halbinsel. Der Sturm über der Drake-Passage – auf der Wetterkarte rot eingezeichnet – wird bereits weiter gezogen sein, wenn wir den Süden erreichen

In der Antarktis gibt es zwei Jahreszeiten: Winter und Sommer. Ersterer ist eine extreme Zeit mit Temperaturen um 50 Grad unter Null und Stürmen mit Windgeschwindigkeiten bis zu 300 Km/h. Irgendwann im September endet diese lebensfeindliche Saison. Ab Mitte Oktober sorgt der Sommer dafür, dass sich der Eisgürtel rund um den Kontinent signifikant verkleinert, Schiffe können anlegen, zwei Monate lang wird die Sonne nicht mehr untergehen. Und dennoch kann es auch im Sommer schneien, können plötzliche Winde das Meer aufwühlen und eine Kreuzfahrt zu einem extremen Abenteuer machen. Mark Behrend mahnt mehrfach, dass der beschriebene Reiseverlauf eher als Reiseplan anzusehen sei. Deshalb heiße es im Katalog ja auch, „je nach Wetter- und Eisbedingungen entscheidet der Kapitän“. Und deshalb präsentiert sich der Mann mit den vier goldenen Streifen auf den Schultern seines immer kurzärmeligen, immer weißen Hemdes ganz bewusst auch als Euphorie-Bremse. „Es ist mein Job, mitunter unpopuläre Maßnahmen zu treffen.“

Entspannung auf dem Heli-Deck
Hochlage: Der Heli-Landeplatz wird meist von Sonnenliegen zweckentfremdet

In der Vorbereitung zu dieser Reise haben wir Berichte gesehen, die aus unserer Ehrfurcht vor der Antarktis auch Angst hätten machen können. Doch nach mehreren Monaten unterwegs, nachdem wir die Grizzlys in den Wäldern Kanadas überstanden haben, die Autofahrer auf den Straßen Portugals, die Herausforderungen der Höhe im Himalaya und die Flugverbindungen der Alitalia  sind wir gelassener geworden. Und so überrascht es uns nicht, dass die Bremen bei wenig Wind und nur leichter Dünung aus dem Mündungsgebiet des Rio de la Plata hinaus fährt in den Südatlantik. Am Morgen des nächsten Tages kommt sogar die Sonne heraus. Und wir, die wir uns mit Merino-Wäsche von Icebreaker und Daunenjacken von Mammut gegen die vermeintliche Kälte des Subkontinents gewappnet haben, sitzen im T-Shirt draußen auf dem Achterdeck, sehen auf die Doppellinie, die die Schrauben durch das Meer ziehen, und frühstücken.

Frühstücksraum und Bar   unser Lieblingsort zum frühstücken ist das Heck

der Pool der MS Bremen   Sturmvögel begleiten das Schiff
Sessel und Sofas im Club, Frühstück auf Deck 5, Planschbecken auf Deck 7, über allem ein Kapsturmvogel – viele Seevögel begleiten die Bremen

Verglichen mit den flugzeugträgergroßen Kreuzfahrtschiffen, die in den letzten Jahren auf die Weltmeere gelassen wurden, ist die Bremen ein Bötchen. Sie misst 111 Meter, hat nur sieben Decks (eigentlich acht, das oberste dient als Heli-Landeplatz, fungiert aber meist als Plattform für die Sonnenliegen) und bietet in 82 Kabinen Platz für 164 Passagiere, 143 sind tatsächlich an Bord. Die finden hier keine Eislaufbahn und keine Kletterwand, wie sie manche US-Schiffe bieten, es gibt kein Musical-Programm und keine Wellness-Abteilung wie auf manchen deutschen Schiffen. Aber man kann sich von Bianca Linnemann die Haare schneiden lassen, abends spielt Alejandro Graziani am Flügel. Und tagsüber erfüllt ein Team von Lektoren den Bildungsauftrag auf der MS Universität Bremen.

Es ist die Vorbereitung auf eine Region, die jährlich von nur rund 20.000 Menschen besucht wird. Und was diese entlegene Welt so besonders macht, vermitteln die Lektoren. Sie bieten Vorträge an über die Geodynamik dieser Region, über Schnee und Eis, über Wale und Delfine, über Eroberer wie Ernest Shackleton und Dauerbewohner wie die Seevögel. Und auf einer Kreuzfahrt in die Antarktis bietet sich oft Gelegenheit, an den Seminaren teilzunehmen, denn dies ist eine ultimative Seereise – es gibt Tage, an denen man nichts sieht als Wasser, Himmel, Horizont. Kein Schiff weit und breit, kein Land. Nur ein Dutzend Albatrosse, Möwen und Kapsturmvögel segeln hinter uns her. Von Uli Erfurth, dem Bord-Biologen und Vogel-Experten, erfahren wir, dass es tatsächlich die Lust an der Abwechslung ist, die die Vögel treibt. Endlich ist mal was los auf der weiten See, und die Tiere rasen im Sturzflug über die Wellen hinter unserem Schiff her, oft fehlen nur wenige Millimeter, Flügelspitzen streifen die Gischt. Dann wieder lassen sie sich über die Decks treiben, neugierig schauen sie in die Gesichter der Passagiere.

die Crew stellt sich vor

der Kompass auf der Brücke
Commandant und Conferencier: Kapitän Behrend stellt die Mannschaft vor und lädt die Passagiere ein, ihn auf der Brücke zu besuchen. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen

Ein Entertainer muss ein moderner Kapitän auch sein. Morgens informiert er über Wind und Wetter, mittags isst er mit den Gästen und setzt sich immer zu anderen. Abends steht er dann mit dem Mikrofon in der Hand auf der kleinen Bühne in der Bar der Bremen, im „Club“, und stellt seine Mannschaft vor. Auf einem modernen Kreuzfahrtschiff zählen nicht nur die Seeleute, längst spielen Küchenchef, Hotel-Direktor und Kreuzfahrtdirektorin eine ebenso wichtige Rolle. Das ist nicht neu. Es verblüfft aber, dass so viele Mitarbeiter des Hotels „Bremen“ aus Österreich stammen, jener Seefahrer-Nation in den Alpen. Am Ende der Präsentation offenbart der Kapitän dann seine Neigung zu nachdenklichen, gar philosophischen Tönen und rät den Passagieren, die Uhren abzulegen, zu sich selbst zu finden und die Welt da draußen nicht nur durch den Sucher der Kamera zu betrachten.

Auf der Bremen gilt das Prinzip des offenen Schiffs. So lange keine komplexen Manöver gefahren werden, dürfen die Passagiere jederzeit auf die Brücke kommen. Wir nehmen die Einladung gern an und lassen uns auf der Brücke erklären, warum das Schiff erneut einen Haken schlagen wird. Die Bremen soll den Ausläufern eines Sturmtiefs ausweichen, das einem anderen Kreuzfahrtschiff zuletzt übel mitgespielt hat, bis zu zehn Meter hoch waren die Wellen. Der Kapitän zeigt auf der Wetterkarte in welche Richtung die rot markierten Schlechtwetterzellen ziehen, und dass die Wellen immer noch bis zu fünf Meter hoch werden können. „Das muss ich meinen Gästen nicht antun“, sagt Behrend. Irgendwie ist ein Kapitän auch der liebe Gott seines Schiffs. In keinem anderen Beruf werden einer Führungskraft so weitreichende Rechte eingeräumt – er kann Passagiere einsperren und vermählen, Toten- und Trauscheine unterschreiben.

alles genau im Blick – Kapitän Mark Behrend   der Kurs ist nicht ungefährlich

der Kurs wird geändert   auf der Brücke
Kursschwankung: Die Bremen soll einer Schlechtwetterzelle ausweichen

Das Wetter beschäftigt die Passagiere. Immer wieder werfen sie einen Blick auf die am Eingang zum Club aufgehängte Wetter-Karte. Es treibt sie die Sorge nicht nur um das eigene Wohlergehen, vor allem um das Gelingen der Reise. Eine der Besonderheiten einer Expeditionskreuzfahrt wie dieser ist, dass man in schwarzen Gummibooten an Land fährt, Vogel-Felsen und Pinguin-Kolonien besucht, britische Klein-Städte und ehemalige Walfang-Stationen. Doch nur bei einigermaßen ruhiger See werden die Zodiacs eingesetzt. Noch ist das Wetter perfekt. Doch die bange Frage lautet selbstverständlich: Wird es auch so bleiben? Es ist eben doch ein deutsches Schiff. Aber als wir in der Panorama-Lounge mit Parka und Gummistiefeln ausgestattet werden, damit wir bei einer „nassen Anlandung“ – man lässt sich von der Wulst des Schlauchboots ins Wasser rutschen, um an Land zu gehen – mit trockenen Füßen die Welt der Antarktis betreten können, ist die Stimmung gelöst. Alle Crew-Mitglieder strotzen nur so vor Zuversicht, und wir lassen uns zu schrägen Scherzen hinreißen. Ich posiere mit einer Regenjacke geräumig wie ein Zelt, und Susanne probiert auch ein Paar Stiefel aus, das einen schmalen Fuß macht.

die wetterfeste Kleidung wird verteilt   Gummistiefel gehören auch dazu

erste Instruktionen werden erteilt   und wie erzählen über unsere Reise
Kleidervorschlag für die Zodiacs: Parka, Gummistiefel und Regenhose. Bei der „nassen Anlandung“ müssen die Passagiere vom Boot ins Meer steigen. Auf die Frage, wie oft man beim Ausstieg vom Schlauchboot nass wird, gibt es als Antwort eine Faustregel: „Alle Anlandungen sind nasse Anlandungen.“ Am Abend stellen wir im Club der Bremen unseren Blog auf geo.de vor

Am Abend vergeht uns dann das Witzeln. Kreuzfahrtdirektorin Gordana Mrakovcic hatte uns gebeten, im Club einen Vortrag zu halten über unseren Blog auf geo.de. Und obwohl es so viel zu erzählen gibt, setzt uns das Lampenfieber zu. Offenbar sind wir ganz gehörig aus der Übung. Wir stehen auf der kleinen Bühne und zeigen unsere Arbeit der letzten Monate. Es ist eine interessante Erfahrung für uns, die wir überwiegend online publizieren, am eigenen Leib mitzubekommen, wie die Gäste reagieren, welche Pointe funktioniert, welche nicht. Wir freuen uns über den Applaus.

Später stehen wir draußen an Deck. Ein hauchzarter Streifen Rosa trennt den stahlblauen Abendhimmel von einem Ozean, der weit und blau vor uns liegt wie Tinte. Es ist kühler geworden, und wenn wir sprechen steht uns in dünnen Wattewölkchen der Atem vor den Gesichtern. Mit einer Geschwindigkeit von 15 Knoten nähert sich die Bremen der Antarktis. Für unseren Blog haben wir diese Fahrt als „Einmal-im-Leben-Reise“ geplant. Und wir wissen jetzt bereits, dass uns eine besondere Zeit bevorsteht.

Stille See zwischen zwei Stürmen
Ruhe zwischen Stürmen: Still liegt der Südatlantik, dabei sind besonders die Gewässer im Bereich des Antarktischen Zirkumpolarstroms – er gilt als stärkster Meeresstrom überhaupt – für die mitunter extremen Bedingungen berüchtigt