Warum Fahrrad fahren doch eine Herausforderung sein kann: „Lass uns mit dem Rad fahren, es regnet kaum.“ Dirk zieht seine Regenhose aus dem Schrank, während ich zögernd stehen bleibe. „Och, aber vielleicht wird es gleich wieder doller regnen und bevor ich mit nasser Hose im Vortrag sitze, nehme ich lieber die U-Bahn. Immerhin müssen wir nach Barmbek.“ Schon als ich Barmbek ausspreche fällt mir auf, wie lächerlich das ist, der Hamburger Stadtteil liegt ca. 7 km entfernt, also nicht so weit weg. Nach Barmbek wollen wir, weil bei Globetrotter Hannes Künkel über seine Expedition in den Himalaya berichtet. Diese Multimediashow interessiert uns, da wir überlegen, einen Teil unseres Sabbaticals auch im Himalaya zu verbringen und den Kailash zu umrunden; dieser heilige Berg liegt im äußersten Westen Tibets und einmal ganz rum sind 53 km Fussmarsch.
Mein Gott, bin ich so ein Weichei? Wie soll ich denn mit viel schwierigeren Situationen klar kommen, wenn ich jetzt schon vorm Rad fahren zurückweiche. Ich muss mich gut für künftige Herausforderungen wappnen, denke ich und einen kurzen Moment sehe mich schon alle Viere von mir gestreckt am Wegesrand einer Trekkingroute im Himalaya liegen und rufen: „Lasst mich ruhig zurück. Geht nur weiter. Meine Zeit ist gekommen“.
Dirk muss mein Schmunzeln bemerkt haben und lacht mich an: „Was ist los? Kein Kleingeld für die U-Bahn gefunden?“ Wortlos greife ich nach meiner Regenhose. Ich nehme mir vor, keiner Hamburger Herausforderung mehr aus dem Weg zu gehen. Selbst Nieselregen und Nebel werden mich fortan nicht mehr schrecken. Barmbek ich komme. Es ist die erste Etappe auf dem Weg in den Himalaya.
Subway to Abenteuer
Ich hätte nie gedacht, dass unsere Reise in den Himalaya schon auf der ersten Vorbereitungsetappe würde scheitern können – die führt uns hinaus aus der Hamburger Neustadt in den etwa 7 Kilometer entfernten Bezirk Barmbek. Da, in der Filiale des Outdoor-Kaufhauses Globetrotter, hält heute Hannes Künkel einen Vortrag über seine geologischen Erkundungen, die ihn vor allem in das, noch bis in die 1990er Jahre nicht zugängliche Mustang geführt haben. Das einstige Königreich gehört längst zu Nepal, und Künkel ist einer der ersten, der die alten Handelsrouten mit ihren teils bis auf mehr als 5000 Meter Höhe reichenden Pässen erforscht hat. Eine Expedition in eine schroffe und bizarre Schnee- und Eislandschaft, eine Landschaft, nach der ich mich seit Jahren sehne. Und die ich in diesem Herbst für mich entdecken will.
Jetzt aber überkommen mich ernsthafte Zweifel: Ist es wirklich eine gute Idee, das mit einer Frau zu tun, die angesichts leichten Nieselregens den Trip von einem Stadtteil zum nächsten statt mit dem Rad lieber mit der U-Bahn angehen will? Und schon will ich irgendetwas testosterongesteuertes in den Raum poltern, etwa: „Komm, stell dich nicht so an.“ Oder: „Hey, wir werden kaum eine halbe Stunde unterwegs sein…“
Doch dann fällt mir wieder ein Vortrag ein, den ich einmal gehört habe über männliche und weibliche Herangehensweisen, dass Männer zum unnützen Abenteuer neigen (Relikt des Balzverhaltens), und Frauen oft vernünftiger, weil kritischer an eine Problemlösung herangehen. Demnach signalisiere ich Abenteuerbereitschaft, Susanne setzt auf Vernunft. Denn eigentlich gibt es keinen Grund, bei so einem Wetter nach Barmbek zu radeln. Der Zug zum Himalaya fährt direkt vor unserer Haustür ab. Und so lege ich meine Regenhose in den Schrank zurück. „Lass uns mit der Bahn fahren.“
„Hast du denn Kleingeld?“
Ich sehe in meine Börse, schüttle den Kopf und frage: „Gibt es nicht eine App dafür?“ Ja, gibt es. Programm laden, registrieren, PIN eingeben, Ticket kaufen. Das iPhone als letzte Herausforderung auf dem Weg zum Himalaya.