Sabbatee in dünner Luft: Rolf Schmid beim Anstieg auf die Jungfrau und auf einem Anden-Gipfel
Wir sprechen mit vielen anderen Sabbatees und wollen von Ihnen lernen: Wie sind sie an ihr Sabbatical heran gegangen? Wie lange waren sie unterwegs? Was haben sie falsch gemacht? Was war ihr größtes Glück? Würden sie es noch mal machen? Leider schaffen wir bis zu unserer Abreise nur ein Interview auch zu veröffentlichen. Das allerdings ist sehr interessant. Rolf Schmid leitet Mammut, das Unternehmen aus der Schweiz zählt zu den führenden Herstellern von Outdoor-Produkten. Uns hat seine moderne Haltung zum Thema Auszeit in einem Unternehmen sehr beeindruckt.
Dirk Lehmann: Wir haben den Eindruck, als Boss eines auf Outdoor-Produkte spezialisierten Unternehmens ist man immer irgendwie draußen. Warum also eine Auszeit? Rolf Schmid: Seit 15 Jahren stehe ich an der Spitze des Unternehmens. Und die Berge, mit denen ich vor allem zu tun habe, sind Papierberge. Ich sehnte mich danach, länger als für zwei Wochen auszusteigen. Drei Jahre vor meiner Auszeit begann ich, das Thema in meinem Umfeld auszuloten. Als dann auch ein gesundheitliches Problem auftrat, beschleunigte dies meinen Wunsch, eine Auszeit nehmen zu wollen.
Hat man es als Chef leichter, in ein Sabbatical zu gehen? Mir ist es wichtig, dass bei uns die Work-Life-Balance stimmt. Als Vorgesetzter verhalte ich mich nach dem „Vorleben-Prinzip“, und ich wollte meinen Kollegen und Mitarbeitern zeigen, in einem gut funktionierenden Unternehmen kann jeder auch aussteigen – niemand ist, zumindest auf absehbare Zeit, unentbehrlich.
Die meisten CEOs würden von sich das Gegenteil behaupten. Vorgesetzte tun ja gern so, als wäre es kaum möglich, ein Sabbatical zu organisieren. Dabei lässt es sich mit einiger Vorbereitung leicht integrieren. Ich habe genug Zeit gehabt, viele Entscheidungen rechtzeitig auf die Wege zu bringen, anderes habe ich delegiert.
Wie hat Ihre Familie auf die Ankündigung reagiert? Meine erwachsenen Kinder und meine Frau störte es nicht, dass wir einen Monat getrennt leben würden. Ich war zum ersten Mal ohne Frau, beziehungsweise ohne Familie im Urlaub. Es war eine neue, aber auch positive Erfahrung.
Wie sind Sie in Ihre Auszeit gegangen, haben Sie sich langsam herangetastet? Ich habe mich für Full-Stop-Variante entschieden, von 100 auf 0 in einem Tag. Hätte ich den langsamen Übergang gewählt, also erst ein paar Tage Urlaub zu Hause, dann auf den Weg machen, ich hätte anfangs bestimmt noch E-Mails aus dem Unternehmen gelesen. Am ersten Tag meiner Auszeit stieg ich ein Flugzeug und reiste nach Peru.
Um was zu tun? Ich machte eine Berg-Tour auf einen knapp 6000 Meter hohen Andengipfel, ich paddelte auf dem Titicacasee und fuhr auf einem Mountainbike durch die Anden. Diese Zeit war so anders als mein Arbeitsalltag, dass ich sofort in einer anderen Welt war. Mein normales Leben war wie weggeblasen. Im ersten Monat habe ich vor allem Dinge unternommen, die ich so mit meiner Frau nicht machen würde.
Wie ging es weiter? Während des zweiten Monats habe ich meiner Familie die Orte meiner Kindheit gezeigt, Ich bin unter anderem in Argentinien groß geworden. Es war eine erinnerungsreiche, intensive Tour. Die abschließenden vier Wochen meiner dreimonatigen Auszeit verbrachte ich in unserem Haus im Tessin. So weit ich mich erinnere, trug ich die ganze Zeit nichts anderes als eine Badehose. Pünktlich zum 150-jährigen Firmenjubiläum war ich wieder da – mit Steigeisen auf dem Weg zum Gipfel der Jungfrau, wo der Auftakt gefeiert wurde.
Viele Sabbatees wollen ihrer Auszeit eine ultimative Herausforderung bestehen. Hätte es Sie nicht gereizt, den Aconcagua zu besteigen, den höchsten Berg Amerikas? Ich hatte mir vor allem viel Sport vorgenommen aber mich bewusst dagegen entschieden, einen besonderen Berg zu besteigen. Ich wollte keinen Druck, keinen Wettbewerb, davon habe ich im Job genug.
Hatten Sie nie über eine Fortbildung nachgedacht, eine Sprache lernen, ein Musikinstrument? Dann hätte ich büffeln müssen, wieder Druck. Das wollte ich nicht.
Haben Sie sich professionelle Hilfe geholt für die Planung des Sabbaticals? Ich brauchte keinen Coach.
Was haben Sie falsch gemacht? Ich hätte mehr Zeit einplanen müssen. Aber ansonsten ist während der Reisen nichts wirklich schief gelaufen.
Wodurch hat sich die Auszeit am ehesten von dem unterschieden, was ihren eigentlichen Alltag auszeichnet? In den drei Monaten gab es nie wirklich Druck. Es war die bisher beste und schönste Erfahrung meines Lebens, ich hatte nicht einmal das Gefühl, dass ich nichts machen müsste.
Beschreiben Sie den Moment, für den allein sich diese Reise gelohnt hat. Obwohl ich bei einem Outdoor-Unternehmen arbeite, auf dem Gipfel eines fast 6000 Meter hohen Berges zu stehen, gehörte bis dahin nicht zu meinem Leben – diese Aussicht nach der enormen Anstrengung, dieser kurze Moment des Glücks bevor die Kälte kam – das werde ich nie vergessen.
Wie teuer war Ihre Auszeit? Kosten wollte ich bewusst nicht rechnen. Vielleicht so viel: Wir sind gut und erlebnisreich gereist, ich wollte auch etwas Komfort genießen mit meiner Familie, und wenn es ein fünfstelliger Betrag geworden ist, so war mir das jeden Franken wert.
Würden Sie noch einmal eine Auszeit nehmen wollen? Ja, unbedingt. Ich denke sogar intensiv darüber nach. Ich bin 52 Jahre alt, 10 bis 13 Jahre muss ich noch arbeiten, vielleicht beantrage ich in 5 oder 6 Jahren eine weitere Auszeit.
Gibt es in Ihrem Unternehmen inzwischen eine Sabbat-Kultur? Ich war nicht der erste, der bei Mammut eine Auszeit genommen hat, und ich werde nicht der letzte sein. Man kann nicht nur davon reden, dass die Mitarbeiter ein Sabbatical nehmen dürfen, man muss es auch ermöglichen. Wer fünf Jahre nur bei uns gearbeitet und nichts gesehen hat, der verpasst doch etwas vom Leben. Mindestens zehn Mitarbeiter von mir planen ein Sabbatjahr. Ich finde das gut und unterstütze da, bekomme allerdings langsam ein Organisationsproblem, wenn noch viele weitere meinem Beispiel folgen…