Krasse Kontraste: Bedeckt von Schnee und Eis ist Deception Island, eine Vulkan-Insel in der Antarktis. Ihr heißer Strand bringt das kalte Meerwasser zum dampfen
Ein Reisebericht von Susanne Baade und Dirk Lehmann
Nirgends auf der Welt ist es so einsam wie in der Antarktis. Die Landmasse von der Größe Europas hat keine Ureinwohner. 40 Forschungsstationen wurden errichtet, die meisten sind nur im Sommer besetzt, oft liegen einige hundert Kilometer zwischen ihnen. Im Winter, wenn die Sonne nie aufgeht, und wenn das Packeis so mächtig wird, dass es die Antarktis um bis zu eintausend Kilometer breiter macht, zeigt sich der Südpol so unwirtlich wie ein fremder Planet – mit Durchschnittstemperaturen von −30 bis −60 Grad und Stürmen, die mit 300 Kilometern pro Stunde über das von einer kilometerdicken Schneeschicht bedeckte Land rasen.
Verlassener Fortschrittsglaube: 1928 startete der Australier Hubert Wilkins von Deception Island zu Erkundungsflügen über die Antarktis. Die Hangar stammt aus den 1960er-Jahren
Deception Island wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckt und bis ins 20. Jahrhundert von Walfängern als Basis genutzt. Noch „vor kurzem“ (erdgeschichtlich gesprochen) hat es hier vulkanische Aktivität gegeben. Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre kam es zu heftigen Eruptionen, bei denen einige der auf der rund 136 Quadratkilometer großen Insel errichteten Forschungsstationen zerstört wurden. Vor knapp 20 Jahren hat man ein Erdbeben gemessen. Und noch immer kocht hier die Erde. Aus dem Sand am Strand dampft es. Wer da mit nackten Füßen läuft, so heißt es, verbrennt sich die Sohlen. Eine verrückte Vorstellung, denn im Wasser, das gegen das seichte Ufer der Insel plätschert, treibt Eis.
Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand: Bis zur Decke mit Schnee gefüllt ist der Hangar, bis zum Lenkrad im Sand versunken der Traktor. Der Friedhof verschwindet wie die Walfangstation. Auf Deception Island haben die Pinguine das Sagen
Deception Island ist eine in jeglicher Hinsicht besondere Insel, ein erloschener Vulkan, dessen inzwischen mit Wasser gefüllte Caldera einen Durchmesser von 13 Kilometern hat. Eine rund 300 Meter breite Meerenge verbindet diesen natürlichen Hafen mit dem Meer. Die Fahrt durch den Sund, der wegen seiner starken Strömung von Seeleuten „Neptun’s Bellows“ – Blasebalg – genannt wurde, scheint einfach. Und birgt doch einige Gefahren: Die Strömung kann ein Schiff gegen die schroffen, bis 50 Meter steil aufragenden Felswände drücken. Plötzlich aufkommende Winde machen die Fahrt durch die Enge zur Herausforderung. Hin und wieder blockieren riesige Eisberge die Passage. Zudem gibt es eine Untiefe, der nur zweieinhalb Meter unter der Wasserlinie liegende Raven Rock schlitzte 2007 das Hurtigruten-Schiff „Nordkapp“ auf. Alle Passagiere mussten evakuiert werden.
Ansichtssache: Längst verlassen ist die Walfangstation, der die „Wahler’s Bay“ ihren Namen verdankt, dieser 101 Meter hohe Hügel bietet beste Blicke auf die Caldera
Kapitän Mark Behrend hat uns auf die Brücke eingeladen. Die Stimmung ist hochkonzentriert. Die Offiziere, die zur Unterhaltung ihrer Gäste das Schiff auch mal einen Eisberg umrunden lassen oder die Maschinen runterfahren, um Wale nicht zu verstören, auf die zig Kameras gerichtet sind, rufen jetzt einander knappe Kommandos zu, kontrollieren Abstände, prüfen Wassertiefe und Windgeschwindigkeit. Nach wenigen Minuten ist es vorbei, die Bremen hat die schmale Durchfahrt zwischen den schwarzen Felsen gemeistert und bewegt sich nun mit niedrigem Tempo auf Whaler’s Bay zu. Und dann rauscht der Anker in die Tiefe. Fast 80 Meter Kette rattern hinterher.
Rückblick und Ausblick: Das obere Bild zeigt einen kleinen Vulkankrater im großen Vulkan und die Ausfahrt aus Deception „Neptun’s Bellows“. Das untere Bild zeigt den noch unter einer geschlossenen Eisdecke liegende rückwärtigen Teil
Zu Beginn des letzten Jahrhunderts haben Walfänger auf Deception eine Trankocherei betrieben. 1928 startete von hier aus das erste Flugzeug für einen Erkundungsflug über die Antarktis. Und in den 50er Jahren begann der für diesen Kontinent übliche und deshalb nicht weniger lächerliche britisch-argentinische Wettstreit im Bau von Forschungsstationen. Ein Vulkanausbruch sorgte zumindest an diesem Ort für ein Unentschieden.
Wir kommen in friedlicher Absicht und sind für ein paar Stunden die einzigen Einwohner auf Deception Island. Wir spazieren zwischen rostenden Tanks und zerfallenen Häusern, zwischen verwitternden Gräbern und erstarrten Maschinen, vorbei an einem mit Schnee gefüllten Flugzeughangar auf einen 101 Meter hohen Hügel. Weit geht der Blick über die zum Teil noch von Eis bedeckte Wasserfläche der Caldera. Was ein Ort! Wir warten bis wir die letzten sind hier oben und genießen die Stille und das Gefühl einer Einsamkeit, die weit über alles hinausreicht, was wir bisher empfunden haben.
Ein Badestrand in der Antarktis: Mit Stefan Drevlak, dem Hoteldirektor der Bremen, wagen wir das Bad im Eismeer. Und, ja, es ist kalt. Verdammt kalt
Bevor wir uns zurück bringen lassen auf die Bremen, nehmen wir noch ein Bad. Wir ziehen uns aus und rennen schreiend in das eiskalte Meer. Früher durfte man sich kleine Wannen schaufeln, das Wasser erwärmte sich über dem heißen Sand, man badete im Warmen. Heute ist es nicht mehr erlaubt, eine Grube zu graben. Deshalb nehmen wir nur ein eiskaltes Tauchbad. Und machen anschließend auf dem Schiff einen Besuch in der Sauna, in der die fünf anderen Passagiere sitzen, die sich auf diese brutalstmögliche Weise abgekühlt haben.
Kreuzfahrtschiff als Eisbrecher: Mit Eisklasse 4 kann die Bremen bis zu einem Meter dicke Schollen knacken. Das anfängliche Pfannkucheneis stellt für das Schiff kein Hindernis dar, selbst Robbe und Vogel scheinen kaum beunruhigt. Schließlich schiebt sich der Schatten des Bugs über die geschlossene Eisfläche
Rechtzeitig zum vorletzten Programmpunkt dieses Tages – danach kommt noch das Abendessen – stehen wir auf dem Vordeck der Bremen und erleben wie Kapitän Behrend sein Schiff krachend in das die Caldere bedeckende Eis rammt. Bis die Kraft der insgesamt 6.600 PS leistenden Maschinen nicht mehr ausreichen. Die Bremen bleibt stecken. Setzt zurück. Und hinterlässt einen v-förmigen Einschnitt im Eis, ein Winkel der Vergeblichkeit. Und spätestens jetzt empfindet jeder Passagier, der das Manöver vom ausnahmsweise geöffneten Crewdeck über dem Bug beobachtet hat, Respekt vor der Macht des Eises und der Kraft dieses Kontinents.
Steckengeblieben: Nach ein paar Metern Festeis ist Schluss. Die Bremen kommt nicht weiter. Dabei hat sie ordentlich Butter bei die Fische gegeben, sogar etwas vom erst im Oktober aufgefrischten Anstrich blieb im Eis
Erst später sehen wir, wie sehr der erst bei einem Dockaufenthalt im Oktober frisch gestrichene Rumpf in Mitleidenschaft gezogen wurde. Fette Lackkratzer zeichnen den Bug. Und wir fragen uns, ob der Kapitän wohl Ärger kriegt.
Schockschwerenot: Das Ramm-Manöver hat den Pinguin aus dem Schlaf gerissen, erschrocken rennt das Tier über seine Scholle, erst in die eine, dann in die andere Richtung, bleibt kurz stehen und sprintet ins Wasser. Die Flucht wäre nicht nötig gewesen, das Kreuzfahrtschiff verlässt Deception Island
Am späten Abend, die Sonne wird noch lange nicht untergehen – je weiter südlicher wir kommen, desto länger bleibt es hell –, verlassen wir Deception Island. Was ein Tag! Wir sitzen beim Abendessen. Es ist gut wie immer, und schmeckt noch besser, wenn man weiß, dass manche Eigenheimküche größer ist als die enge Kombüse der Bremen. Und doch können wir es heute nicht richtig würdigen. Wir sind platt. Zum ersten Mal während unseres Sabbaticals haben wir das Gefühl, die Speicherkarten sind voll. Zum ersten Mal während unserer Auszeit sind wir so weit, dass wir den nächsten Tag am liebsten im Bett verbringen wollen. Weil wir Zeit brauchen um zu verarbeiten, was wir erlebt haben. Doch es geht weiter. Paradise Bay werden wir am Morgen anlaufen und am Nachmittag Port Lockroy, bevor es abends durch den Lamaire Kanal geht – bis dahin muss die Speicherkarte wieder leer sein.
Frei: Letzte Eisbrocken werden zur Seite gestoßen, dann manövriert die Crew das Schiff durch Neptun’s Bellows, eine Meerenge zwischen schroffen Felswänden, hinauf aufs offene Meer