Regatta an Land: Für Strandsegler und Kitebuggy-Piloten ist Ameland perfekt. Wer die Sonne genießen will, verschanzt sich in der Sandburg und erfreut sich an der Insel als Bühne der Elemente
Ein Reisebericht von Susanne Baade und Dirk Lehmann
Alptraum und Monster
Mit einem Schweißausbruch beginnt der Tag. Die Sonne knallt auf unser kleines Expeditionszelt und macht es mir unmöglich, im Daunenschlafsack zu liegen. Noch gestern waren wir happy, das Kanada-erprobte Outdoor-Equipment dabei zu haben. Mit der Dunkelheit waren die Wiesen feucht geworden, auf denen wir unsere Zelte aufgebaut hatten, und innerhalb kurzer Zeit wurde es empfindlich kalt auf Ameland. Wir kuschelten uns in die Federn und schliefen schnell ein. Jetzt frage ich mich, sind wir vielleicht doch etwas overequipped für unsere Radtour durch die Niederlande – von Groningen nach Amsterdam?
Ich sehe auf die Uhr. Kurz nach 8. Susanne dreht sich knisternd auf der Isomatte. Ich beneide sie um ihren tiefen Schlaf. Ich fühle mich gerädert. Gegen zwei Uhr Nachts begann Benita zu weinen. Ein Alptraum. Als ich sie getröstet hatte – „Alles ist gut. Hier kann dir nichts passieren.“ –, lag ich noch lange wach. Die Blätter in den Bäumen raschelten. In der Ferne grollten die Wellen. Der Wind ließ die Zeltplanen vibrieren, die scharf gespannten Leinen summten. Hörte ich Schritte? Und plötzlich fiel mir Algernon Blackwoods geniale Erzählung „Die Weiden“ ein – zwei Freunde machen eine Kanutour auf der Donau, anfangs fühlen sie sich eins mit der Natur, doch dann empfinden sie eine diffuse Bedrohung, seltsame Dinge passieren, und am nächsten Tag haben sie den Eindruck, ganz knapp nur einem Unheil entkommen zu sein. Ich weiß nicht mehr, wann ich eingeschlafen bin. Haha, erst den Kinder-Tröster geben und dann selbst vor Grusel kein Auge zu kriegen. Etwas unelegant winde ich mich aus dem Schlafsack.
Vom Glück des einfachen Lebens: Radfahren und Zelten ist eine gute Kombi, bringt manche Komforteinbuße mit sich, man kann aber auch auf einer Picknickdecke viel Spaß haben
Zeltplätze sind ein schräger Kosmos. Wo sonst begegnet man wildfremden Menschen in Schlafanzügen, mit Zahnbürste in der Hand und Klopapier unterm Arm? Mich irritiert zudem, dass die anderen mich ansehen als wäre ich ein Monster. Bis ich beim Blick in den Spiegel verstehe, warum. Ich bin ein Monster. Über Nacht scheint mein Gesicht angeschwollen zu sein, meine Augen sind dick, ich habe Tränensäcke wie ein Säufer. Die berüchtigte Zeltplatz-Allergie, scherze ich grimmig mit mir selbst, und putze dem hässlichen Kerl im Spiegel die Zähne.
Einfach. Schön. Windig.
In den nächsten Tagen arrangieren wir uns mit dem einfachen Leben auf dem wundervoll gelegenen Campground. Wir synchronisieren unsere Schlafgewohnheiten ein wenig, nur Judith teenagertrotzt der Hitze und dem Sozial-Druck und liegt mindestens bis 10 Uhr im Zelt. Nach dem Frühstück auf der Picknick-Decke – Obstsalat, Quark, Kaffee und Kakao – erkunden wir die Insel. Aus unserer Radtour durch die Niederlande sind ein paar Radausflüge über Ameland geworden. Die Insel ist vor allem schmal und lang. 14-Kilometer-Strand mit Dünen und Wald. Letzterer wurde vor rund 100 Jahren aufgeforstet mit Kiefern und Fichten. In den 1950er Jahren pflanzte man auch Laubbäume.
Wir radeln erst durch den Hauptort Nes und dann bis ins acht Kilometer entfernte Hollum, das knapp 1300 Einwohner zählende größte Dorf der Insel mit seinem markanten, mehr als 40 Meter hohem Leuchtturm. Der Weg dahin macht viel Spaß, führt über Dünen, das Meer immer im Blick. Der starke Ostwind lässt uns dem Ziel entgegen fliegen. Und stemmt sich uns auf dem Rückweg entgegen. Benita mault so lange, bis ich sie schiebe, Judith strampelt verbissen, und Susanne lässt sich zurück fallen. Als wir am Insel-Golfplatz vorbei kommen, malen wir uns gackernd aus, wie der Ball hoch fliegt und dann davon segelt. Heute haben wir im Supermarkt eingekauft, es gibt Camping-Futter: ein Fertignudelgericht aus der Packung, wird einfach in heißes Wasser eingerührt, Butter dazu, ziehen lassen, Augen zu und, nun ja, genießen.
Insel für Aktive: Den Leuchtturm hat man bei einer Radtour auf Ameland immer im Blick. Von oben sieht man bis Terschelling. Die Taucher sind gruselig, am Strand spielen wir mit dem Wind
Ameland ist vor allem ein langer wunderschöner Sandstrand. Würde der am Mittelmeer liegen, wäre er sicherlich ständig ganz vorn dabei in einem der vielen „Die schönsten Beaches der Welt“-Rankings. Doch die Nordsee hat einen eher spröden Sex-Appeal. Der Wind weht kalt, man kann sich nicht einfach so in den Sand legen. Ich erzähle von den Sommerferien meiner Kindheit. Oft waren wir drei Wochen „an der See“ wie man damals sagte, mein Bruder und ich errichteten große Sandburgen, die wurden kunstvoll mit Muscheln und allerlei Strandgut verziert. Dahinter verschanzte sich die Familie gegen den Wind. Und wir waren – typisch deutsche Liegenreservierer – stinksauer, wenn jemand anderes am nächsten Tag die Burg für sich erobert hatte.
Insel unter dem Wind
Jetzt bauen wir mit unseren Beach-Ball-Schlägern einen kleinen Erdwall. Dahinter wird es schnell heiß. Und so entwickeln wir eine seltsame Unruhe, liegen, lesen, schwitzen, aufspringen, Beachball spielen, den Drachen steigen lassen. Nur ins Wasser können wir leider nicht. Das Meer ist saukalt und voller Quallen. Doch das stört nicht. Wir rennen durch Pfützen und Lachen, dass es nur so spritzt. Ausgelassen schlägt Benita so oft Rad, dass einem selbst vom Zusehen schwindelig wird. Wir genießen das Lebensgefühl „Ferien an der See“.
Kein Ort für Angeber: Das Auto bleibt zu Hause, Ameland ist ein Fahrrad-Paradies mit tollen Sonnenuntergängen. Im Baum über dem Restaurant „Zee van Tijd“ in Nes hängen Kronleuchter
Ein Resümee vor dem Abschied
Die Zeit im Glück vergeht besonders schnell. Schon sitzen wir wieder im selben Restaurant, in dem wir unser erstes Abendessen auf Ameland genossen haben, und sprechen darüber, was uns gefallen hat in den vergangenen Tagen, die uns im Nachhinein wie eine Auszeit vorkommen von unserer Radtour durch die Niederlande. Judith mochte den Leuchtturm und den Blick von oben über die Insel. Benita, die sich beim Aufstieg vor einer Puppe in einem Taucher-Anzug so sehr gefürchtet hatte, dass sie in der Nacht erneut von einem Alptraum heimgesucht wurde, liebte es, im Zelt zu schlafen. Und Susanne, Tochter einer Portugiesin und als Kind in den Sommerferien nie an der kalten See sondern im heißen Alentejo, fühlt sich darin bestätigt, dass die Nordsee-Inseln besonders geeignet sind für Genießer, die hier spazieren gehen, den würzigen Duft des Waldes inhalieren und die Kühle des Meeres. Abends sitzt man dann in einem Restaurant und isst und freut sich, dass die hiesige Küche so viel mehr kann als Frietjes, etwa den Feinkost-Cheeseburger, den Judith und Benita so sehr mögen. Oder das frisch gebackene Brot, zu dem diverse Dips serviert werden.
Gruppenbild mit Essen und Zeltabbau mit Schlafsackbelüftung: Tag der Abreise
Die Urlaube von früher und die Reiselust von heute
Am Morgen rollen wir zur Fähre. Das Wetter hat gedreht, der Wind ist frisch, der Himmel bezogen, es soll noch regnen heute. Die Räder lehnen an der Reling, wir sitzen unter Deck und sind ganz froh, dass wir heute Nacht in einem Bed-and-Breakfast sein werden. Und während sich das Schiff langsam durch die Fahrrinne schiebt, finde ich es doch schade, dass wir nur ein paar Tage geblieben sind. Waren die Urlaube, die man einst machte, bei denen man sich bis zum Überdruss an einem Ort aufhielt, nicht viel erholsamer? Oder redet man sich das bloß in der Rückschau schön? Ich hätte es gern ausprobiert und noch ein wenig dem Lebensgefühl Holland-Urlaub nachgespürt… Aber bei der Organisation der Reise haben wir uns anders entschieden.
Und doch freue ich mich auf die dritte Etappe unserer Radtour durch die Niederlande. Von Holwerd geht es über Leeuwarden und Workum bis ans Ijsselmeer. Wir folgen der Elf-Städte-Route, die im Winter auf Schlittschuhen über zugefrorene Grachten führt und im Sommer über ruhige Seitenstraßen und einwandfrei asphaltierte Radwege. Wir werden in ehemaligen Bauernhöfen nächtigen und in einem Hotel, das gar keines ist sondern Teil eines Uni-Campus, Studenten einer Hotelfachschule üben da am lebenden Objekt – am Gast.
Zum Abschied grau in grau: Meer, Himmel und dazwischen ein Streifen Ameland
Infos:
Wie der Name sagt, liegt der Natur-Campingplatz mitten auf der Insel und ist unbestritten einer der schönsten Plätze seiner Art, keine Wohnwagen oder -mobile, keine Autos. Die sanitären Anlagen sehr sauber. Und trotzdem nicht teuer. Vielleicht sollte ich den Leuten von „Cool Camping“ diesen Tipp weiter geben. Vielleicht aber auch nicht, wer weiß, wie voll es dann hier wird… Gebucht werden kann der Platz nur über die Website des niederländischen Forstamtes, dafür muss man eine Mitgliedskarte erwerben, die nur 17 Euro kostet. Oder man fährt einfach hin und wird vor Ort Mitglied.
Middelpolle, Westerpad, Nes, www.staatsbosbeheer.nl
Unser Lieblingslokal liegt am Rande des Hauptortes und ist quasi das Zentrum des guten Geschmacks auf der Insel. Die leichte, vor allem frische Küche bietet verblüffend leckere Hamburger – eigentlich eher gefüllte Baguette –, diverse Brotsorten und viele Salate. Die sind schon allein wegen des Dressings eine Empfehlung, das Honing-Mosterd-Dressing aus Honig und Senf ist eine scharf-würzige Delikatesse, die auch in die Feinkostläden von Amsterdam exportiert wird. Leider ist das Essen nicht ganz günstig. Auch hübsche Gästezimmer werden angeboten.
Zee van Tijd, Rixt van Doniastraat 18, Nes
Hinweis: Die Recherchereisen für diesen Blog wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien, Reedereien und/oder PR- bzw. Tourismus-Agenturen. Unsere journalistische Freiheit bleibt davon unangetastet. Wir danken dem Niederländischen Büro für Tourismus und Convention.