Ein Paar auf Reisen: Hamburg – eine Perle! Ein Sommertag im Mai, es ist warm, die Elbe glitzert
Eine Reisereportage von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
“Das ist nicht dein Ernst!”
“Hä?”
“Du gehst jetzt nicht wirklich im kurzärmeligen Hemd los?”
“Aber klar, im kurzärmeligen Hemd und in Sandalen. Aber keine Sorge, die Bermudashorts lasse ich hier…”
“Haha, wirklich lustig. Du hast keine Bermudas. Aber offenbar hast du auch eine große Gedächtnislücke. Kannst du dich noch an das vergangene Jahr erinnern? Da sind wir ebenfalls auf dem Elbjazz-Festival gewesen. Es hat in Strömen geregnet, war kalt und garstig und…
“…wir haben uns bei Caravan Royal warm getanzt. Und wie! Es war großartig! Ich freue mich seit einem Jahr auf dieses Festival! Und soll ich dir mal was sagen: Es ist Sommer! 25 Grad! In Hamburg! Im Mai! Wahnsinn! Allerdings befürchte ich, dass ich jetzt meinen Ausrufezeichen-Vorrat für das ganze Jahr aufgebraucht habe.”
“Du kannst so ein Blödmann sein. Ich würde dir jedenfalls empfehlen, eine Jacke mitzunehmen.”
“Du kannst so eine Unke sein. Hast du mal das Wetter gegoogelt? Es soll ein schöner Tag werden. Aber, hej, wenn es dich glücklich macht, stecke ich gern ein Jäckchen ein.”
“Machdochwasduwillst!”
Geniale Verbindungen: Barkassen shuttlen zu den Spielorten – etwa zur “Stubnitz”
Schon am Freitag, dem ersten Festival-Tag, hat der “liebe Gott” – wer immer das auch sein mag – unter Beweis gestellt, dass er inzwischen auch ein Jazz-Fan ist. Vor allem aber, dass er Sinn für Humor hat (da konnten wir ja noch nicht wissen, dass auch eine Prise Sadismus in ihm oder ihr steckt, zumindest eine Note ausgeprägter Garstigkeit; doch darüber später mehr). Die ganze Woche war das Wetter eher schön, stellenweise sogar sommerlich.
Ein Witzbold macht das Wetter
Am Freitag kam plötzlich unwetterartiger Regen auf, es schüttete und schüttete. Und hörte um 17 Uhr auf. Pünktlich zum Beginn des ersten Konzerts. Es blieb den ganzen Abend wunderbar. Besonders die Konzerte von Echoes of Swing, Hugh Masekela, Dianne Reeves und Endangered Blood müssen beeindruckend gewesen sein. Jedenfalls schwärmten unsere Freunde. Und auch die Autoren des Blogs Regioactive sind begeistert.
Jazz for Kids and for Hamburglovers: Oddjob aus Schweden und Barkassenfahrt zur Hauptbühne
Wir steigen am Samstag ein. Meine Töchter Benita und Judith begleiten uns. Und da die beiden wenig Jazz hören, beschließen wir, didaktisch zu beginnen, mit einem Konzert für Kinder an Bord der MS Stubnitz. Das Schiff der DDR-Fischerei-Flotte fungiert als eine der zehn Bühnen für das Festival. Und die schwedische Formation Oddjob begeistert mit zeichentrickfilmbebilderter Spielfreude, die Trompete lässt Vögel tanzen, der Bass begleitet das Flusspferd. Ihre Show wirkt wie eine moderne Form von Prokofjews “Peter und der Wolf”, die Kinder haben Spaß, die Erwachsenen lernen etwas dazu.
Kapitän aus der Dessous-Abteilung
Per Barkasse geht es dann zur Hauptbühne auf dem Gelände von Blohm und Voss. Der Kaptain kalauert ein wenig rum, dass er früher Verkäufer in der Dessous-Abteilung bei Karstadt gewesen wäre, aber Karstadt gehe es ja nun mal nicht so gut, deshalb fahre er nun Boot und hofft, dass alles klappe… Wir mögen den Kerl trotz seiner schlechten Witze, denn er fährt uns durch einen wundervollen Tag, die Sonne scheint, es ist warm, die Elbe glitzert wie sonst nur das Mittelmeer. Wir sitzen an Deck, halten die Gesichter gen Himmel, einige Kinder spielen mit dem Wasser, das lebendig gegen die Bordwand gluckert. Mensch, kann Hamburg schön sein.
Unter großem Dach: das Festival auf dem Werftgelände von Blohm und Voss, mit Regenschutz
Es ist ja schon weniger worden: weniger Bands, weniger Bühnen – Elbjazz 2014 versucht die Reduzierung auf das Maximum. Und noch immer ist das Angebot größer als die eigene Aufnahmekapazität, man kommt sich vor wie ein Kind im Süßwarenladen, mit einer Flatrate zum Futtern. Man muss schon sehr mit dem inneren Schweinehund ringen, um einzelne Acts wirklich zu Ende zu hören, ständig hat man die Befürchtung, die Band auf der andere Bühne könnte die bessere sein.
Die Bessere ist des Guten Feind
Dennoch machen wir alles richtig und erleben eine feinsinnig spielende und tiefgründig erzählende Elizabeth Shepherd. Doch für die Idee, danach in die Alte Maschinenbauhalle zu gehen, um da Ulita Knaus zu hören oder gar den Top-Act vom Freitag, Dianne Reeves, sind wir offenbar zu pomadig. Die Halle ist bereits so voll, dass die Veranstalter niemanden mehr hinein lassen. Die Elbjazz-App informiert darüber – und wir ziehen das Abendessen vor.
Gäste aus aller Welt: 15.000 Zuschauer, Elizabeth Shepherd aus Kanada, die Punk-Jazzer Pink Freud aus Polen, die zu Cunard gehörende Queen Elizabeth und dunkle Wolken aus Nord-Ost
Diverse Fressstände wurden auf dem Gelände aufgebaut, die Auswahl reicht von Pizza und Pilzpfanne über Fischbrötchen und Handbrot bis zu vegetarischen Falafel und zur obligatorischen Grillwurst. Auch einige Getränke-Stände warten auf Kunden, von Fritz-Cola über Espresso bis Champagner. Das Bier-Angebot ist allerdings ein Reinfall. Nicht nur dass es ewig dauert, bis der Inhalt aus mehreren Gläsern zu einem Bier zusammen gegossen worden ist, der Geschmack ist. Vielleicht sollte man im nächsten Jahr auf Duckstein und Holsten verzichten, Ratsherrn schmeckt sowieso besser. Und die würden sich vielleicht mehr Mühe geben, gut zu performen.
Lichtspiel: Dunkle Wolken über blauen Buchstaben – langsam braut sich ein Unwetter zusammen
Es ist eine Art Déjà-Vu als es plötzlich in unsere Nudeln tröpfelt. Ein erster, noch feiner Regenschauer. Wir nehmen ihn nicht zu ernst, glauben noch, dass die dunklen Wolken vorüber ziehen werden. Da erhalten wir eine Benachrichtigung über die Elbjazz-App: Es gebe eine offizielle Unwetterwarnung. Während die polnischen Punk-Jazzer Pink Freud ihr mitreißendes Konzert geben, wird der Himmel dunkler und dunkler, erste Blitze zucken. Doch das Quartett reißt das Publikum mit. Treibende Drums, druckvoller Bass, Trompete und Saxophon. Wir tanzen und springen und jubeln.
In Sound-Gewittern
Der Regen entlädt sich dann erst beim eher akademischen Spiel von Girls in Airports. Mir gefallen die Dänen mit ihrer Präzision, ihren stimmungsvollen, manchmal dynamischen Klang-Kaskaden. Und mich freut, dass wir vorausschauend genug waren, uns bis in die Mitte unter der Zelt-Überdachung vorgearbeitet zu haben. Der Regen pladdert heftig, der Wind fegt ihn über uns Zuschauer hinweg. Wir jubeln der Band etwas mehr zu als sie es verdient hat. Musik hält warm. Spielt weiter, Jungs. Yeah. Noch eine Zugabe!
Donnerwetter: Girls in Airports spielen gegen den Regen, Gregory Porter singt uns warme Herzen
Dann stehen wir da, wie eine Herde im Winter, dicht an dicht in der Wärme der anderen. Die Musik hat aufgehört, aber wir weichen nicht vom Fleck. Man lernt Fremde kennen, scherzt über die roten Papp-Hocker, die Hauptsponsor Audi verteilt hat, und die erst viele blöd finden, weil immer irgendwo Leute auf Hockern im Weg sitzen, und um die wir uns jetzt rangeln. Denn fast eine Stunde werden wir hier warten und stehen und von einem Bein auf das andere treten. Per Elbjazz-App erfahren wir, dass der Barkassen-Betrieb eingestellt wurde, dass alle Konzerte auf der Stubnitz abgesagt wurden, und dass Gregory Porter erst um 23 Uhr spielen wird.
Im Sturm erobert
22.30 Uhr. Der Regen hat aufgehört, und wir tänzeln zwischen den Pfützen zur Hauptbühne. Einer der Top-Acts des vergangenen Jahres war Aloe Blacc. Und es ging uns wie vielen, wir fanden ihn gut, perfekt, aber er hat uns nicht richtig berührt. Das ist diesmal anders. Völlig anders. Top-Act 2014 ist Gregory Porter, er kommt auf die Bühne, singt die ersten Töne, und es ist um uns geschehen. Wahnsinn, hat der Mann eine Stimme!
Lichtgestalt: Man muss Gregory Porter nicht mehr überhöhen, er ist ein Star. Und was für einer!
Begleitet wird er von vier brillanten Musikern, dem genial spielenden, irgendwie alterslosen Pianisten Chip Crawford, dem man die Liebe zum Whiskey selbst von weit hinten ansieht, dem nahezu unsichtbaren Bassisten Aaron James, dem begeisternden Saxophonisten Yosuke Sato, der mit großer Leichtigkeit Töne aus seinem Instrument holt, die man nicht erwartet hätte, und dem Schlagzeuger Emanuel Harrold, der schlicht eine coole Sau ist, einen grauen Anzug trägt, eine Piloten-Sonnenbrille und nie auf die Trommeln zu schauen scheint, die er mit unfassbarer Präzision rührt und schlägt. Die Band spielt fast alle Songs von Porters aktuellem Album “Liquid Spirit”, dazu setzt der Sänger seinen Bariton mit einer Leichtigkeit und Intensität ein, die einen immer wieder aus den Schuhen haut, spontane Begeisterungsstürme, während Porter das ganze Spektrum seiner Musik abarbeitet – vom eher groovenden “Hey Laura” über das fast á capella gesungene und zum Heulen gefühlvolle “No Love Dying”, bis zum kraftvollen “Liquid Spirit” selbst. Ein Konzert, an das wir noch lange denken werden.
Dessous und Regenjacken
Es ist spät geworden, mehr als neun Stunden sind wir nun schon unterwegs. Wir steigen in die Barkasse, die uns zurück bringt in die Hafencity. Es ist dasselbe Boot, mit dem wir zum Werftgelände von Blohm und Voss gefahren sind. Und während der Kaptain von seiner Karriere als Dessous-Verkäufer bei Karstadt erzählt, sehen wir die Lichter der Stadt durch die Nacht tanzen. Es ist kühl, die Luft schmeckt frisch, leicht metallisch. Kaum jemand redet an Bord. Das Brummen des Motors. Das einschläfernde Schaukeln der Wellen.
“Im nächsten Jahr stecken wir unsere Regenjacken ein.”
“Ja, Schatz.”
Gruppenselfie: Susanne, Benita, Julia, Judith und Dirk
.
Hinweis: Die Recherchereisen für diesen Blog werden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien, Reedereien und/oder PR- bzw. Tourismus-Agenturen. Unsere journalistische Unabhängigkeit bleibt davon unangetastet. Wir danken unserem Kooperationspartner Hamburg Marketing.