Wandertrilogie Allgäu. Drei verschiedene Charaktere prägen das Wanderwegenetz durch die Charakterlandschaft ganz im Süden Deutschlands: Hoch hinaus geht es auf den Wegen mit der Bezeichnung „Himmelsstürmer“. Zu den Flüssen und Seen geht es per „Wasserläufer“. Wir erschließen uns den Liebreiz der Ebene – als „Wiesengänger“. Von Katzbrui nach Bad Wörishofen…
Ein Reisebericht von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Die Gespenster sind verschwunden. Noch vor wenigen Jahren hat man das Heu in einem senkrechten Stapel auf dem Feld getrocknet. Wie Gespenster standen diese sogenannten Garben im Morgendunst. Und manche Felder waren voll davon. Heute liegen diese seltsam runden Ballen da. Die Garben waren Handarbeit. Die runden Ballen macht ein Traktorfahrer. Er steuert sein Fahrzeug über die Wiese, das Heu wird von einer Maschine aufgenommen und zusammengepresst. Dann verlangsamt der Fahrer seinen Trecker, und die Maschine legt – einen großen Ballen. In weiße Folie eingewickelt. Ein Riesen-Ei.
Wandertrilogie Allgäu: vom Liebreiz der Ebene
Wie Kinder stehen wir am Wegesrand und schauen uns das an. Wieder so ein Städter-Aha-Moment. Im Allgäu weiß sicherlich jeder, wie die Dinger entstehen. Wir verfügen nun über neues Nice-to-know. Wir werden von der Wandertrilogie Allgäu erzählen. Deren Wege unterteilen sich in drei Kategorien: Himmelsstürmer, Wasserläufer, Wiesengänger. Besonders hoch im Kurs stehen die Wege durch die Berge. Wir aber haben den Liebreiz der Ebene entdeckt. Das Nebeneinander von Weg und Wald. Den Zauber der Kulturlandschaft. Und Traktorfahrer, die mit Riesen-Eiern das Bild der Natur prägen. Selbst ein kräftiger Kerl aus Hamburg kann so einen Heuballen um keinen Millimeter bewegen.
Unsere Wiesengänger-Wanderung führt über bestehende Wege von Katzbrui nach Bad Wörishofen. Es geht über Abschnitte des Schwäbisch-Allgäuer- und des Kneipp-Weges. Ausgangspunkt unserer Wanderung ist ein Ort, dessen Namen sich harmlos liest, aber kaum aussprechen lässt. Katzbrui. Die norddeutsche Physiognomie tut sich schwer damit. Es handelt sich um eine Mühle, die sich bis ins 17. Jahrhundert zurück datieren lässt. Im Sommer sitzt man schön im Biergarten…
Wiesengänger: mit jungfräulicher Unterstützung
An einem kühlen Herbsttag hockt man dann eher in der Wirtsstube vor einem Riesenteller Kasspatzn – und genießt ein Bier aus der Ein-Mann-Brauerei. Die Mühlen-Wirte brauen und backen und räuchern. Alles ist Handarbeit. Und es schmeckt. Essend beugen wir die Köpfe über unsere Wanderkarte und plaudern kurz mit der Bedienung. Ach, nach Wörishofen wollt’s? „Einfach dem Weg folgen. Ist freilich ganz schön weit – 16 Kilometer.“
Es geht durch einen feucht-kalten Mischwald. Die Rinnsale der Quelle teilen den dunklen Boden, Laub flirrt in der Sonne, die Luft schmeckt kühl. Wir passieren eine Marien-Grotte. Frische Blumen, ein batteriebeleuchteter Heiligenschein. Andächtig lesen wir es uns vor – das „Gebet von Maria Einsiedeln“: „Alles möchte ich dir erzählen, alle Sorgen, die mich quälen, alle Zweifel, alle Fragen…“ Weiter dem Weg folgend sprechen wir über die Sinnsuche des Menschen. Gleichsam prophetisch öffnet sich die Landschaft. Wir treten aus dem Wald, das Licht wird heller, vor uns weitet sich das Allgäu.
Auf dem Wiesengänger geht es durch Wald- und Feldrain. Erst Hochsitze, dann Bauernhöfe. Haine auf den Feldern wie Inseln. Plötzlich eine Landschaftsform, die wir kennen. Das ist doch, genau, ein Deich! Wir lesen, dass er die Kraft der Mindel zähmt. Der Bach trat beim Jahrhunderthochwasser 2002 brutal über die Ufer. Und schon geht es in den letzten Wald, den Mischwald von Bad Wörishofen. Hier endet die Einsamkeit des Wiesengänger-Daseins. Waren wir bisher keinen anderen Wanderern begegnet, kommen uns nun Spaziergänger und Gassigeher, Jogger und Crossläufer entgegen.
Wiesengänger: im Wald von Bad Wörishofen
Nach etwa dreieinhalb Stunden erreichen wir den Park der Kneipp-Stadt Bad Wörishofen. Der ist ein besonderer Schatz mit seinen Kräuter- und Rosengärten. Wir ziehen an einer Kneipp-Anlage Schuhe und Strümpfe aus, tauchen die Füße ins eisige Wasser. Es scheint fast ein wenig zu zischen. Dann schlendern wir durch den Ort. Wie schnell sich der Modus ändert, wie man vom Wiesengänger zum Flaneur wird, der eher entspannt durch die Innenstadt streift.
Nach der Ruhe der Landschaft wirkt Bad Wörishofen fast wuselig. Wir schnüren durch den Ort, essen ein Eis, kaufen etwas Obst – die leckersten Muskateller-Weintrauben der Welt! – und sitzen abends, frisch geduscht und ganz lebendig, in einem Restaurant. Ein leckeres Getränk, die Backen voll. So, sag an: Was war der schönste Moment dieser wundervollen Wanderung? Dass man am Abend wohlig erschöpft ist – und sich doch freut auf die nächste Etappe…
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