Fußball, Glaube, Widerstand – Straßenecke im Stadtteil La Boca von Buenos Aires, in dem die erfolgreichste Mannschaft Argentiniens ihr Heimatstadion hat: Boca Juniors
Ein Reisebericht von Susanne Baade und Dirk Lehmann
9 Stunden dauert der Flug von Delhi nach Mailand, 1 Stunde der nach Rom, 14 Stunden sind es dann nach Buenos Aires, macht 24 Stunden in drei Flugzeugen. Wer einmal um die halbe Welt fliegt – tatsächlich legen wir knapp 20.000 Kilometer zurück –, braucht gutes Sitzfleisch. Und etwas Glück.
Mehrere Airlines bieten Verbindungen für die Verbindung Delhi – Buenos Aires an, meist muss man zwei Mal umsteigen. Anfangs favorisierten wir die Verbindung über London und New York, günstiger Flug, mehrere Maschinen pro Tag. Doch dann schrecken uns die Visums-Regelungen der USA ab (selbst Transit-Passagiere brauchen eine ESTA-Genehmigung, das Gepäck muss in Amerika „identifiziert“ werden). Dass uns Sturm Sandy zudem einige Verspätung eingebracht hätte, war nicht absehbar.
Time to destination: „nur noch“ knapp 13 Stunden bis zur Ankunft in Buenos Aires
Wir entscheiden uns für Alitalia. Und zweifeln, kaum dass wir die Tickets bezahlt haben, an unserer Vernunft: Die Airline ist pleite, die Kritiken sind mies. Zudem wird der erste Flug von Jetairways durchgeführt, einem indischen Billigflieger. Doch dann beginnt das Glück schon beim Einchecken in Delhi. Das Aman-Hotel hat einen Mitarbeiter am Airport, der für uns alle Formalitäten übernimmt (dass er versehentlich in die Ausreise-Karte des Immigration-Offices einträgt, wir wären Italiener, merkt niemand), er checkt uns über den Business-Class-Counter ein, wo uns die Jetairways-Mitarbeiterin zuraunt, sie gebe uns eine Vierersitzreihe und halte die anderen Plätze frei.
In einem neuen, fast leeren Airbus 330 geht es nach Mailand, wo wir überpünktlich landen. Das kriegen die Italiener nie hin, raunen unsere hartnäckigen Vorurteile (ignorierend, dass es viele unpünktliche Airlines gibt). Und werden genährt vom Eintrag bei Seatguru, in dem es heißt, Fluggäste beklagten den schlechten Zustand der Alitalia-Maschinen. Doch auch das erweist sich als Blödsinn. Ganz neu und ganz pünktlich ist der A 319 nach Rom. Und auch die Boeing 777, die uns nach Buenos Aires trägt, startet rechtzeitig. Zudem scheint kürzlich die Einrichtung modernisiert worden zu sein, und wir genießen das etwas mehr an Beinfreiheit in der „Classics Plus“ genannten Premium-Economy.
Sehr british die Argentinier: Die Wartenden wollen nicht ins NH-Hotel, sie stehen an für den Bus. Der Stadtteil La Boca ist Hochburg der Tangotänzer und der Touristen
Das Upgrade war eine gute Entscheidung. Denn während die Business-Class in dem Riesenflieger fast leer ist, sind in der Economy alle Plätze belegt. Wir reisen in der Zwischenwelt einer dritten Klasse: Wir dürfen so früh an Bord wie die Vorne-, kriegen aber das gleiche Essen wie die Hinten-Sitzer, wir haben statt vier (vorne) oder neun (hinten) nur sieben Nachbarn. Der Sessel ist etwas breiter, die Beinfreiheit etwas größer. Und doch fühlt man sich nach so einem Flug wie unter Drogen.
Ein Eindruck, der sich bei Ankunft in Buenos Aires noch verstärkt. Die Hitze ist überwältigend, 35 Grad, die Sonne ist gleißend hell. Und auch wenn der Terminal des Airports neu zu sein scheint, im Vergleich zu Delhi scheinen wir in der Dritten Welt angekommen. Alles dauert unglaublich lange, überall Trägheit, selbst die Gepäckbänder bewegen sich so unfassbar langsam als würden sie von einem ausgemergelten Esel angetrieben, der bereits seit Jahren auf dem sengend heißen Rollfeld im Kreis trottet.
Pink House: sehr eigenwillig beleuchtet – das Parlament in Buenos Aires
Ein Taxi bringt uns ins Hotel, das NH City and Tower liegt mitten in der Stadt. Wir haben einen Early-Check-In vereinbart und dürfen bereits am Vormittag das Zimmer im 5. Stock beziehen. Wir machen den Fehler und schlafen fünf Stunden, fühlen uns aber gut und erfrischt. Und wollen das Gefühl mit einem Sprung in den Rooftop-Pool auf der 12. Etage noch verstärken. Doch der öffnet erst im Sommer.
Buenos Aires wirkt wie eine riesige Kopie von Madrid. Und ähnlich schlecht ist die Stimmung in den Straßen, gereizt, maulig, verängstigt. Mehrfach werden wir aufgefordert, die Kamera wegzustecken, am besten in eine Plastiktüte. Vor wenigen Wochen sei ein französischer Fotograf von Dieben erstochen worden. Ständig wispern uns wenig vertrauenserweckende Männer zu, dass sie uns Geld wechseln wollen. Müll türmt sich an den Straßenkreuzungen. Schwer bewaffnete Polizisten in schwarzen Kampfmonturen stampfen durch die Dämmerung. Und mit einem Schlag wird die ganze Stadt dunkel. Stromausfall.
Café im Zentrum der Stadt und des Protests gegen den spanischen Öl-Multi Repsol
Argentinien steckt in einer Krise. Auch heute protestieren Hunderttausende gegen die Regierung in ihrem pink (!) farbenen Sitz. Wir sitzen im Café unseres Hotels, essen ein paar sehr leckere Sandwiches und unterhalten uns mit Ana. Sie hat Kommunikationswissenschaften studiert, arbeitet als Übersetzerin und erklärt die Unzufriedenheit im Land. Sie spricht über Korruption und Inflation, über Arbeitslosigkeit und Armut, über Kriminalität und Polizeiwillkür. Und obwohl wir ahnen, welche Probleme diese Stadt zu haben scheint, fremdeln wir mit Buenos Aires und sind froh, dass es bald schon weiter geht nach Montevideo.
Mit der Fähre geht es über den Rio de la Plata von Buenos Aires nach Montevideo, aus der 14-Millionen-Einwohner-Metropole in die 1,4-Millionen-Einwohner Hauptstadt, in deren Zentrum dieses Klimaanlagen-Hochhaus steht und Plakate der lokalen Punk-Band Arch Enemy hängen
Die Buquebus-Fähre legt sich längsseits gegen die Kai-Mauer, unter dem neuen weißen Lack ist das alte Logo der Reederei erkennbar: Color Line. Wir fahren also mit einem Boot nach Uruguay, das bisher zwischen Deutschland und Norwegen verkehrte. Leider regnet es. Windböen scheppern über das Wasser (wie war das noch mal mit dem Rooftop-Pool?). Und als wir nach dreieinhalbstündiger Fahrt aus unserem Zimmer in der 18. Etage auf die Hauptstadt Uruguays blicken, pladdert der Regen heftig gegen das Fenster.
Morgens in Montevideo: Blick aus unserem Hotel über Skyline und Flussmündung
Wir wohnen im Sheraton, einem weihin sichtbaren Hotel mit Fitness-Center und Pool in der 26. Etage. Der und der herzliche Service sichern dem Haus einen soliden Platz in unserem Herzen: Zum Frühstück gibt es frisches Obst (und das Küchenteam macht sich sogar die Mühe, den Strunk der Ananas heraus zu schneiden), noch warmen Kuchen, und die Kellnerin serviert einen sehr kräftigen Espresso, ohne Aufpreis zu verlangen.
Original und Kopie: Friseur Leo Mendez hat Dirk einen corte aleman verpasst – der Barbier aus Uruguy mag die deutsche Frisur. Blick auf den Hafen von Montevideo
Wir erkunden die Stadt. ich gehe zum Friseur und lasse mir von Leo Mendez einen Undercut verpassen, in Montevideo nennt man den Schnitt auch corte aleman, ist er mit ausrasiertem Nacken doch so ordentlich wie nur die Deutschen sind. Wir essen auf dem Flohmarkt ein Wurstbrötchen und trinken in einem Straßencafé eine „Cerveza Zillertal“, wir promenieren an der Promenade mit ihren wenig attraktiven Hochhäusern direkt hinter einer vierspurigen Straße. Auch das Zentrum Montevideos hat wenig Charme. Und als wir uns auf den Weg machen zum Hafen, von dem aus die MS Bremen ablegt in die Antarktis, empfinden wir wenig Wehmut, dass wir kaum Zeit hatten für die beiden südamerikanischen Großstädte.
Freiwillige vor: Die MS Bremen liegt vor Volunteer Beach auf einer der Falkland Inseln. Am Sandstrand warten die Königspinguine. Momente wie diesen wird unsere Reise in die Antarktis bringen