Ein Paar auf Reisen: Kangaroo Island ist Australiens Naturparadies. Wir beobachten die Seelöwen auf dem Sand der Seal-Bay und die Neuseeländischen Pelzrobben am Admiral’s Arch im Nationalpark Flinders Chase
Ein Reisebericht von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Ach, dieser Geruch: würzig, scharf, mit Noten von Salpeter und Schwefel. Schon bevor wir sie sehen oder hören, wissen wir um die Präsenz der Robben. In der Antarktis hat sich dieser Duft für immer in unser olfaktorisches Gedächtnis eingebrannt (es besteht aus dem Zusammenspiel mehrerer Hirnregionen, etwa dem für unsere Erinnerungen zuständigen Hippocampus und der für unsere Gefühle wichtigen Amygdala). Nur eines will nicht so recht passen, die Temperatur. In der Antarktis mussten wir meist lange Unterhosen tragen, zwei Paar Wollstrümpfe, dicken Parka, Handschuhe, Mütze. Jetzt stehen wir in Sommerkleidung am Strand von Seal Bay und sehen den Seelöwen zu wie sie auf dem Sand schlafen, ins Wasser robben oder bäuchlings die Dünen runter rutschen.
Die Robben von Kangaroo Island: Am sandigen Seal-Bay rutschen sie bäuchlings die Dünen herab und brüllen sich am Strand an, in der Felsen-Bucht beim „Admirals Arch“ tollen sie im Wasser und beäugen ihre um vieles größeren Artgenossen
Die Seelöwen von Kangaroo Island unterscheiden sich erheblich von ihren Artgenossen im Ewigen Eis, sie tragen quasi Badeanzüge, das Fell ist dünner, ebenso die Fettschicht, der so genannte „Blubber“. Und das macht Sinn, weit über 30 Grad heiß ist es heute. Eigentlich ist der Sommer auf der südaustralischen Insel immer etwas kühler als auf dem Festland, dank der Winde, die meist aus dem Süden kommen und über das Meer wehen. Doch heute lastet die Hitze schwer auf KI, wie die abkürzungsverliebten Australier die Insel gern nennen, Fliegen umschwirren uns.
Landeplatz für 20 Passagiere: Die Saab 340 von Regional Express auf dem Airport von Kangaroo Island
Wir sind gestern Nachmittag auf dem Flughafen von Kangaroo Island gelandet. Eine asphaltierte Landepiste, umgeben von ausgetrocknetem Gras, ein kleines Gebäude als Terminal, kein Tower, reiner Sichtflugbetrieb – die aus Adelaide gestartete zweimotorige Saab 340 von „Regional Express“ kreist erst einmal über dem Platz und geht dann in den Landeanflug über. Sicher setzen Pilot und Ko-Pilot, der uns auch beim Einsteigen behilflich war, die mit rund einem Dutzend Passagieren gefüllte Maschine auf.
Trotz Jeep: Nicht die Straßen verlassen!
Am Schalter von Budget werden uns gründlich die Mietbedingungen für das reservierte Allradfahrzeug erklärt: Ja, wir dürfen Gravelroads benutzen, es ist aber nicht erlaubt, die Straßen zu verlassen oder Strände zu befahren. Und es wird uns empfohlen, nicht mehr nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs zu sein, Kängurus und Wallabys sind nachtaktiv und hüpfen plötzlich auf die Straßen, bei Wildunfällen reduziert sich der Versicherungsschutz.
Have a good sheep: Das Bed and Breakfast „Stranrear Homestead“ ist eine Schaffarm
Wir fahren nach Kingscote, mit 1700 Einwohnern die größte Gemeinde der Insel und deren Hauptstadt, aber eigentlich keinen Besuch wert. Im Supermarkt kaufen wir ein wenig ein und machen uns auf den Weg zu unserer ersten Unterkunft. Kangaroo Island misst 150 Kilometer von Ost nach West, 50 Kilometer von Süd nach Nord, es ist die drittgrößte Insel Australiens. Es gibt einige Kilometer asphaltierte Straßen, doch der Großteil sind Gravelroads, Schotterpisten, die Autos, die darauf fahren, ziehen lange Staubfahnen hinter sich her. Wie wir jetzt.
Laura Ashley in der Wüste
Das „Stranraer Homestead“ ist ein Bed&Breakfast im Haupthaus einer großen Schaffarm, rund 6000 Tiere haben Lyn und Graham Wheaton, rund die Hälfte dient der Produktion von Merinowolle, die anderen werden geschlachtet. Weil Lyn und Graham irgendwann das Leben im 1920 erbauten Farmhaus ohne Nachbarn zu eintönig wurde, richteten sie Gästezimmer ein. Dabei orientierten sie sich an englischen Landhäusern im Laura-Ashley-Stil, und so steht man nach rund 20 Kilometern Fahrt über eine staubige Straße durch die weite wellige Landschaft der Insel, die man ständig nach Kängurus absucht und nur Schafe findet, vor dem Haus mit der Veranda, tritt ein und sieht sich mit so viel englischer Gemütlichkeit konfrontiert, dass man es kaum aushält. Überall Deko, kleine Figuren, Bilderrahmen mit Schwarz-Weiß-Fotos, auf dem Nachttisch neben dem Bett mit der verzierten grünen Tagesdecke liegen Büchlein mit Titeln wie „Shakespeare for Lovers“.
Das Abendessen serviert Lyn an einem großen Tisch, an dem wir mit den drei anderen Stranraer-Gästen sitzen. Und auch das Frühstück nehmen wir da ein. Um 9 Uhr holt uns Ron ab. Er ist unser Guide für die nächsten beiden Tage. Wir hatten lange gegrübelt, wie wir uns die Insel erschließen. Zwar sind im Internet viele Informationen verfügbar, etwa bei Australien-Info. Und doch wurde schnell klar, es gibt auf KI so viel zu sehen, dass man leicht alles verpassen kann. Wir machen nun eine geführte Tour mit Exceptional Kangaroo Island, wir lassen uns von einem Experten alles zeigen – und haben dann immer noch genug Zeit, die Insel auf eigene Faust zu erkunden.
Gravelroads and Boardwalks: Himmelwärts geht es über Schotterpisten und Holzstege, Wildlife-Experte Ron erklärt Dirk die Besonderheiten der Fauna von Kangaroo Island
Wie richtig es ist, so vorzugehen, zeigt sich bereits in den ersten Minuten, die wir in Rons großem SUV sitzen. Er erklärt, dass Kangaroo Island recht jung ist, sich vor 10.000 Jahren vom Festland getrennt hat. Dass – wie in den meisten Wäldern Australiens – hier vor allem Eukalyptus-Bäume wachsen. Dass auch hier der Eukalyptus-Baum das Feuer braucht, doch anders als auf dem Festland, wo die Aborigines mit gezielten Bränden die Wälder intakt halten, verheeren die Feuersbrünste auf der Insel von Zeit zu Zeit weite Gebiete. Noch heute könne man die Folgen des letzten Brandes, der im Dezember 2007 ausbrach, deutlich sehen. Er hält an, zeigt uns grüne Blattbüschel an schwarz verkohlten Eukalypten und die Puschel der Grasbäume auf verbrannten Stämmen. Wir lernen, dass Kangaroo Island zwar nur 150 Kilometer lang ist und doch über verschiedene Klimazonen verfügt, der Norden ist meist windgeschützt und deshalb sehr warm, im Westen regnet es mehr, die Vegetation ist üppiger.
Einer der letzten seiner Art: Der Rosenberg Goanna ist der größte auf Kangaroo Island lebende Waran und als Spezies vom Aussterben bedroht. Auch dieser, für den wir auf der Straße nach Emu Bay angehalten haben, lebt riskant – im Jahr 2011 wurden rund 250 Exemplare überfahren
Und die Tiere? Ron erzählt, dass es rund 500.000 Schafe auf der Insel gibt, 30.000 Koalas und mehr als 400.000 Kängurus und Wallabys. Die Tiere unterscheiden sich deutlich von ihren Artgenossen auf dem Festland, sie sind kleiner, im Fell dunkler. Zudem gibt es etwa 30.000 Robben. Inzwischen haben wir Sealbay erreicht und beobachten die Seelöwen am Strand. Später fahren wir noch in den felsigen Westen, am Felsbogen des Admirals Arch tollt eine Kolonie Neuseeländischer Seebären durch das Wasser. Die Tiere sind deutlich aktiver als ihre am Strand abhängenden Artgenossen, sie lassen sich in das aufgewühlte Wasser gleiten, toben durch die Wellen, kämpfen miteinander. Eine ganze Weile sehen wir ihnen zu, kaum andere Touristen kommen vorbei, entdecken Jungtiere, aufmerksame Weibchen und wütende Bullen. Und sind verblüfft von den Schwimmfähigkeiten der Tiere, die selbst aus heftig gegen die Felsküste donnernden Wellen unbeirrt entsteigen.
Sicherlich einer der schönsten Strände der Insel: Emu Bay – auf dem eine Pelikan-Kolonie lebt
Für den Nachmittag verspricht uns Ron noch eine Besonderheit. Er habe eine Bootsfahrt organisiert, sagt der kleine Mann, der eigentlich in Gladstone, im Norden von Queensland lebt, aber seit mehr als 20 Jahren in den Sommern auf Kangaroo Island arbeitet: „Mit etwas Glück werden wir Delfine sehen.“ Wir wollen schon abwiegeln, Delfine, gähn, haben wir schon gesehen. Doch dann, vielleicht ist es die Intuition, die man während einer so langen Reise entwickelt, dass man den Leuten dann irgendwann auch traut, weil man irgendwann einfach vertrauen muss, geben wir uns einfach ins Ron Hände und lassen uns von ihm quer über die Insel fahren. Wir lernen einiges über die Vegetation, fotografieren einen mehr als ein Meter langen Rosenberg Goanna, er gehört einer vom Aussterben bedrohten Leguan-Art an und wärmt sich auf der Straße, wir machen ein kurzes Picknick und besteigen am Emu-Bay mit seiner Pelikan-Kolonie schließlich das Schlauchboot von Andrew.
Besuch bei Atemgenossen: Andrew bringt uns zu einer Gruppe von etwa 40 Delfinen. Wir springen ins Wasser, beobachten die Tiere – und werden neugierig von ihnen in Augenschein genommen
„Vielleicht sehen wir Delfine“, sagt Andrew. Wir lächeln freundlich. Und freuen uns, auf die Bootsfahrt entlang der rauen Küste. Wir sehen Strände, die man nur mit einem geländegängigen Allradfahrzeug erreichen kann, Häuser, die so großartig in die Landschaft gesetzt sind, dass man sofort anfängt, sich hineinzuträumen. Andrew zeigt uns einen Adler-Horst. Und dann dessen Bewohner, einen großen Weißbauch-Seeadler. Plötzlich ruft der Bootsführer, dass die Delfine da wären. Mehrere Dreiecksflossen sicheln durch das Wasser, zwei Tiere kommen ganz nah ans Boot, nach einigen Augenblicken sind wir umgeben von 20 bis 30 Tieren.
Neugierige untereinander
Andrew reicht uns Taucherbrillen und Schnorchel. Ohne lange nachzudenken lassen Susanne und ich uns ins Wasser gleiten. Sofort kommen die ersten Delfine, umrunden uns interessiert, schwimmen weiter, kommen zurück. Wir schnorcheln ein wenig hin und her, immer wieder nähern sich die Delfine, umzingeln uns, nehmen uns in die Mitte, sehen uns an. Auch einige Jungtiere gehören zu der Gruppe, und wir hören das Pfeifen im Wasser. 20 Minuten schwimmen wir in ihrer Mitte. Zurück an Bord können wir unser Glück kaum fassen, erzählen besondere Momente, sind völlig geflasht, strahlende Gesichter. Was eine Begegnung.
Auf der Rückfahrt führt uns Andrew noch die Manöverierfähigkeit seines Bootes vor, es hat keinen klassischen Außenborder mit Propeller sondern einen Wasserstrahlantrieb. Das macht das Schiff schnell, wendig und ungefährlich: Weil es keine Schraube hat, besteht keine Verletzungsgefahr für Schwimmer oder Tiere. Wir sind inzwischen etwas nachdenklicher geworden. Noch fährt außer Andrew niemand mit einem Boot hinaus zu den Delfinen von Kangaroo Island, und Andrew sagt, er bekomme höchstens ein-, maximal zweimal pro Woche genug Gäste für eine Tour zusammen, die Chancen auf eine Begegnung mit den Tieren sei etwa fifty-fifty. Und doch ist uns klar, dass es Regeln geben muss für solche Besichtigungsfahrten. Andrew sagt, er halte sich an die Vorgaben des australischen Umweltministeriums, nähert sich den Tieren nicht unter 50 Meter, drosselt den Motor und wartet ab, wie sich die Delfine verhalten. Manchmal sind sie neugierig, manchmal nicht. Wir haben Glück gehabt. Sehr viel Glück.
Schwimm-Konvoi: Delfine schwimmen am heftig mit den Füßen paddelnden Dirk vorbei