Wo die Welt noch in Ordnung ist: Eine Reiterin quert eine Straße im Elsass, die Organistin übt an der Fischer-Kraemer-Orgel in der hübschen Barock-Kirche „Unserer Lieben Frau von Thierenbach“
Dieser Text beginnt mit einem Tipp für die Friseure unter unseren Lesern: Im Elsass lernen wir den Millionär Philippe Bosc kennen, er ist Hotelier aus Leidenschaft, Weinsammler und Papst-Fan. Eigentlich hatte er einen Friseursalon. Wie man damit zu so viel Geld kommen kann (ohne etwas illegales zu tun)? Mit einer guten Geschäftsidee. Bosc hatte seinen Kundinnen angeboten, sie zu Hause zu frisieren. Und vielen gefiel der Vorschlag. Bald hatte Bosc so viel zu tun, dass er weitere Friseure einstellen musste. Und dann brauchte er einen Vertreter, denn auch in anderen Landesteilen als dem seiner Herkunft (Elsass) ließen sich die Damen gern zu Hause die Haare machen. Irgendwann hatte Bosc rund 3000 Mitarbeiter, und ein großer Konzern wollte ihm sein Business abkaufen. Es heißt, der Friseur habe eingewilligt – für 70 Millionen Euro.
Unterwegs: Equipment im Bully, Wegweiser für Pilger – 2100 Kilometer nach Santiago di Compostelle
Ein sonniger Tag im Elsass. Nach dem Frühstück machen wir uns auf die zweite Etappe unserer Hotel- und Genuss-Expedition im Oldtimer-Bulli der Romantik-Hotels durchs Dreiländereck – diesmal geht es auf rund 100 Kilometern von Colmar in den Südschwarzwald. Unser Ziel ist das Münstertal. Auf dem Weg dahin lassen wir den französischen Käse-Ort Munster rechts liegen und steuern unseren Bully mutig durch die Kleini Schwitz, wie die bergige Region in den Vogesen genannt wird. Die Stimmung an Bord ist gut, obwohl die hinten sitzenden ständig von links nach rechts durch den Rückspiegel rutschen.
Den Wagen durch diese sattgrüne Landschaft mit ihren schmalen und windungsreichen Straßen zu scheuchen, ihn Hügel erklimmen und Abfahrten meistern zu lassen, ist echte Arbeit. Und macht doch Spaß. Man dreht und zieht am dünnen Lenkrad, stochert mit dem langen Schalthebel durch die Gänge, jaulend und rasselnd rumort der Boxermotor. Die erste Pause machen wir an der Wallfahrtskirche von Thierenbach.
Gute Reisewünsche: Votivtafel in der Basilika, das Bulli-Team mit Hotel-Manager Karim Abid
Die Basilika „Unsere Liebe Frau von Thierenbach“ macht architektonisch nicht viel her. Eine schlichte Fassade, hell-beige verputzt, ein rotbraunes Dach, ein kantiger Glockenturm mit kupfergrüner Zwiebel-Kuppel. Und doch ist diese Kirche ein besonderer Seelenort. Sie liegt auf dem elsässischen Jakobsweg und birgt unzählige Votivtafeln, mit naiven Gemälden danken die Gläubigen der Gottesmutter für ihre Hilfe. Während wir durch das hohe, barock dekorierte Hauptschiff gehen, übt die Organistin. Kraftvolle Bach-Fugen füllen den Raum. Und wir lesen uns die Tafeln vor: „Durch die Fürbitte der lieben Gottesmutter bin ich von einem schweren Arbeitsunfall gerettet worden.“ Oder: „Dank an die Gnadenmutter: Das Auto vollständig zertrümmert, die beiden Insassen wunderbarerweise gerettet.“
Geschichte, Glaube, Wellness: das aufwändig vergrößerte Hotel „Les Violettes“
Wir fahren weiter und kehren ein. Mit Blick auf die Wallfahrtskirche schmiegt sich das Hotel „Les Violettes“ in die grün-bewaldeten Hänge. Ein Haus mit Tradition, das aufwändig erweitert wurde im Auftrag seines neuen Besitzers – Philippe Bosc. Den Friseur selbst treffen wir nur kurz. Er wartet auf eine Wein-Lieferung. Der Elysee-Palast hat einen Teil seines Wein-Schatzes versteigert, 1200 Flaschen kamen unter den Hammer (haha!), und der Friseur schlug zu (Super-Kalauer!). Rund 120 Flaschen Wein, Cognac und Champagner sollen geliefert werden, vor allem Raritäten aus dem Elsass. Bei einer Führung durch das Hotel haben wir Gelegenheit, den Weinkeller zu besichtigen. Schon jetzt lagern hier große Bordeaux und seltene Champagner. Wir meinen, was ein Glück für den Gast, so exklusive Tropfen trinken zu können (so er es sich leisten kann). Doch Hotelmanager Karim Abid schüttelt den Kopf. „Diese Weine stehen nicht zum Verkauf. Sie gehören dem Chef.“ Aber das alles kann er doch nie allein trinken…
Rückzugsort im Elsass: „Les Violettes“ bietet Wohnzimmerbehaglichkeit und eine Sauna mit Tageslicht (Achtung, Franzosen und Schweizer saunieren nicht nackt!), man erfreut sich an bemalten Decken, einem erlesenen Weinkeller und Fotos, die den Inhaber zeigen, etwa mit Papst
Es gibt so manche Eigenheit in diesem eigentlich schönen Hotel. Mit 56 Zimmern und Suiten verteilt auf drei Gebäude, mit seinem weitläufigen Salon und einer fast 800 Quadratmeter messenden Wellness-Abteilung ist „Les Violettes“ fast zu groß für diese sanfte Landschaft. Aber sehr vielfältig. Das Haupthaus bietet den Charme der Geschichte, mit breiten Holzdielen, bemalten Balken-Decken und offenen Feuerstellen. Die beiden jüngeren Anbauten verfügen über große Zimmer, pragmatisch eingerichtet, dafür hat man einen tollem Blick in das Tal. Und das kleine Herrenhaus, das etwas unscheinbar im Schatten hoher Bäume steht, ist von innen stylisch wie ein modernes Stadt-Hotel, glatt verputzte Wände, in den Zimmern Betten mit hohen gepolsterten Kopfteilen.
Wallfahrt und Weite: Aussicht vom Hotel in das Tal und auf die Basilika
Erstaunlich, wie viel Aufwand in diesem Haus steckt, in dessen Restaurant eine sorgsam modernisierte regionale Küche auf den Tisch kommt. Wie manches Hotel wir auch dieses ganz von der Leidenschaft seines Inhaber getragen, Les Violettes hat nicht die Auslastung, die es bräuchte, um ein wirtschaftlicher Erfolg zu sein. Es hat vor allem einen Gast, seinen Besitzer. Der zeigt sich auf unzähligen Fotos im Haus, mal küsst er dem Papst die Hände, anlässlich dessen Besuchs in der Wallfahrtskirche, mal posiert er neben einer riesigen Blondine, das Ex-Model Adriana Karembeu ist verantwortich für die Wellness-Abteilung. Doch sind diese Fotos die einzigen Zeichen einer persönlichen Handschrift im Haus. Es sucht noch eine klare Identität.
Wir müssen weiter. Während der Fahrt in den Schwarzwald bezieht sich der Himmel, es wird kalt, und als der Bulli vor dem Hotel „Spielweg“ im Münstertal hält, tut die Wärme gut, die einem aus den Räumen hinter dicken Mauern entgegenschlägt. Im Kamin prasselt ein Feuer. Vor mehr als 400 Jahren wurde das Gasthaus erstmals erwähnt. Damals war dieses Land reich, in den Minen schürfte man Silber, selbst kleine Dörfer gönnten sich große Kirchen. Inzwischen nährt der Tourismus den Landstrich, und das Spielweg gehört zu den besten Hotels der Region, seine Küche zu den besten des Landes. Langsam legt sich der Abend über das Münstertal, schwarzgrün zeichnen sich die 700 Meter hohen Berge gegen den silbrig-blauen Himmel ab.
Kleines Hallo im Schwarzwald: Inhaber Karl-Josef Fuchs begrüßt die Bulli-Tourer
Das Spielweg ist das, was man heute Hideaway nennt. Ein Ort, der einen mit großer Gastfreundschaft und ruhiger Gelassenheit empfängt. Nichts wirkt hier gekünstelt, niemand verstellt sich. Und so sitzen wir schon kurz nach der Ankunft beim Feuer, fühlen uns wohl und fachsimpeln darüber, ob der Kakao den Anforderungen der Bestellerin entspricht, die wollte ihn besonders dunkel. Und, fragt der Kellner, sollen wir ihn noch dunkler machen?
Hoch hinaus: Mancherorts hat man vom Münstertal sogar den 1414 Meter hohen Belchen im Blick
Seit 1861 gehört das Spielweg der Familie Fuchs. Tradition ist eigentlich ein trügerischer Wert, wird von manchen Gastgebern eher als Rechtfertigung missbraucht, nicht mehr zu investieren, und so tun sich viele geschichtsreiche Hotels eher schwer mit der Gegenwart. Auch das Spielweg hat so manche Ecke, die man nur versteht, wenn sie erklärt wird, etwa die Vitrine voller Schwarzwald-Devotionalien, Hüten, Taschen, Kreuze, Kleider, oder die Flure voller Tomi-Ungerer-Zeichnungen. Die historischen Stücke stammen aus dem Familienfundus, die Bilder sind ein Zahlungsmittel – der in Straßburg geborene Künstler kommt oft in dieses Haus, ein Teil seiner Zeche zahlt er mit Naturalien.
Nach einer Weile schon bedauert man, nicht auch so ein Talent zu haben wie Ungerer. Man würde öfter hier leben wollen, an diesem Ort, der sich ständig verändert und wächst. Ein Hotel, das man erst für klein hält, das dann aber immer weitläufiger und vielgestaltiger wird, Konferenzräume und Spielzimmer hat, Innen- und Außenpool, eine Liegewiese und einen eigenen Bach. Und dennoch einen unverwechselbaren Charakter.
Ein Mann macht sein Ding: Karl-Josef Fuchs geht jeden Tag zum Käsen
Dieser Charakter hat einen Namen: Karl-Josef Fuchs ist Inhaber und Koch, zwar teilt er sich die Arbeit im Hotel mit seiner Frau, aber er ist quasi der Frontman der Spielweg-Gang, die eine Familien-Band ist. Fuchs führt uns abends in die Käserei. Und während der kräftige Mann erklärt, wie man guten Käse macht, lernt man einiges über die Schwarzwälder Mentalität. Hier redet man nicht unnötig viel. Man lässt sich nicht beirren, sondern geht seinen Weg. Man weiß, wenn was gut ist, ist es gut. Und so ist es auch mit dem Käse machen.
Fuchs erzählt, dass der Geschmack vor allem von einer Zutat abhängig ist, von der Milch. Dass er lange gesucht hat, bis er einen Bauern fand, der seine Tiere auf natürlichen Weiden in rund 1000 Metern Höhe grasen lässt. Und man erkennt, dass dieser Mann mit stoischer Ruhe – trotz des Grolls über manch behördliche Verordnung – seiner Arbeit nachgeht. Fuchs holt einen frischen Laib Bergkäse aus der Presse, versieht ihn mit dem aktuellen Datum und zeigt uns den Unterschied zu einem deutlich dunkleren Käse aus den Wintermonaten, wenn die Kühe vor allem mit Heu gefüttert werden.
Gute Arbeit: das 4-Gänge-Menü im Spielweg – mit viel Käse und einer späten Portion Spargel
Im Restaurant dürfen wir den Käse dann essen, er ist vielfältiger Bestandteil des viergängigen Menüs, das der Fuchs für uns zubereitet. Es beginnt mit einer herrlich leichten Crepinette von der Tomate. Als Vorspeise erhalten wir ein Stück Bienenwabe mit Honig, dazu Frischkäse, luftgetrockneten Schinken und etwas Gemüse. Als Hauptgericht kommt Spargel auf den Tisch, rohem Schwarzwälder und gekochtem Schinken, dazu die buttrigste Sauce Hollandaise, die ich je gegessen habe, und Kratzete, zerrupfte, fast geröstete Pfannkuchen, perfekt zum Spargel. Und statt des Desserts freuen wir uns über dreierlei Käse: Spielberger Bergkäse, Obermünstertaler Weichkäse und Molkenziger Frischkäse. Besonders der würzige Bergkäse hat es mir angetan.
Es ist ein Vergnügen, all das zu essen, und die dazu passenden Weine dazu zu genießen. Und als uns zum Abschluss noch ein Gläschen Zibärtli eingeschenkt wird – der Edelbrand wird aus der wilden Zibartenpflaume gewonnen, die selten geworden ist und mit ihren kleinen Früchten wenig Ertrag bringt –, da fällt mir der Slogan des Hotels wieder ein. Er bringt eigentlich perfekt auf den Punkt, wie man hier so tickt, wie sie funktioniert die Spielweger Mischung aus Schwarzwälder Eigenheit, Schwarzwelder Unbeirrbarkeit und Schwarzwälder Gastfreundschaft: „Wir machen kompromisslos alles, damit es Ihnen bei uns gefällt.“
Wohlfühlen leicht gemacht: Wurstsalat zum Frühstück und die Sonnenterrasse am Morgen (noch im Schatten), unaufgeräumtes Blogger-Zimmer und aufgeräumte Stimmung bei wohliger Kamin-Wärme
Tradition ist, was man draus macht. Man muss den Mut haben, ein Hotel nicht nur weiter zu führen, sondern es auch in die Zukunft zu überführen. Ich bin gespannt, wohin es das Spielweg noch bringt. Wahnsinnig dunkel können die Nachte im Schwarzwald sein, selbst im Sommer frisch und kühl. Unsere nächste Etappe endet in wärmeren Regionen, am Schweizer Rhein-Ufer. Und nachdem wir mit dem „Marechal“ ein eher altmodisches Hotel erlebt haben, mit dem „Les Violettes“ ein Wellness-Hotel mitten im Selbstfindungsprozess und mit dem „Spielweg“ einen Ort, der nur so strotzt vor Selbstvertrauen, werden wir ein Haus besuchen, das mehr als 450 Jahr alt ist – und so modern wie ein Design-Hotel. Was mich allerdings eingeschüchtert hat: Der Gott aller Schreiber war auch schon da, Goethe. Zum Hotel, das wir in Eglisau besuchen werden, äußert sich der Großdichter nur knapp: „Um zwölf Uhr in Eglisau, Gasthof zum Hirsch. Aussicht auf den Rhein. Ab um halb zwei.“
Wasserwelten: Blick vom Hallenbad auf den Außenpool, dahinter rauscht der Bach Neumagen vorbei
Eines der wenigen Wellness-Hotels im Elsass, das diese Bezeichnung auch verdient. Die Anwendungen haben eher Wohlfühlcharakter. In den drei Gebäudeteilen kommen reisende Paare, die gern in Antiquitäten wohnen genau so zu ihrem Recht, wie solche, die es moderner mögen. Achtung: Der recht hohe Zimmerpreis (240 Euro) enthält kein Frühstück.
Thierenbach, Tel. 0033-389 76 91 19
Ein Hotel mit Tradition und starkem Charakter. Durchsetzungsfähige Paare, die gern essen, und die wissen, was ihnen gefällt, werden sich hier sehr wohl fühlen. Koch Karl-Josef Fuchs ist zudem Mitbegründer der Organisation Jeunes Restaurateurs d’Europe, in der sich einst junge Spitzenköche zusammengefunden haben, inzwischen sind viele „jung-gebliebene“ dabei.
Münstertal, Tel. 07636-7090
Hinweis: Die Recherchereisen für diesen Blog wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien, Reedereien und/oder PR- bzw. Tourismus-Agenturen.