Sonnenuntergang am Cabo São Vicente

Magische Orte in Portugal: das Cabo São Vicente

Unterhalb des historischen Leuchtturms versammeln sich zum Sonnenuntergang auch heute noch die Menschen – und tun es damit ihren Vorfahren gleich

 

Felsig, schroff, sehr steil, und 70 Meter unter uns rumort kraftvoll der Atlantik. Man sitzt recht unbequem. Doch um uns herum haben sich Dutzende von Menschen versammelt, unter ihnen einige „Profis“ – mit Sitzkissen. Wir alle warten geduldig auf das kommende Naturschauspiel. Die Sonne wird untergehen. Wie jeden Abend. Im Meer verschwinden. Eigentlich nichts besonderes. Aber es gibt kaum einen Aussichtsplatz wie diesen auf der Welt.

Die Stimmung ist besonders. Man unterhält sich, lacht, schweigt, nimmt einen Schluck Bier. Einige sind in sich gekehrt oder halten ihre Hand vors Gesicht, die letzten Sonnenstrahlen spielen durch die Finger. Vor uns der Atlantik. Irgendwo dahinten: Amerika. Doch darum geht es gar nicht. Die Weite des Meeres reicht aus, um „Saudade“ zu empfinden, diese Melancholie der Portugiesen, diese unspezifische, scheinbar nicht zu stillende Sehnsucht im Herzen, noch etwas hinaus zu segeln, ein wenig weiter bloß. Nur um sich dann wieder zurück zu sehnen – nach den Lieben, nach der Heimat, nach Portugal.

Schon früh haben die Portugiesen begonnen, die Welt zu erkunden. Sie navigierten mit den Sternen. Anfangs blieben sie nahe der Küste. Ehrfurchtsvoll und ängstlich, befürchtete man doch, hinter dem Horizont von der Erde zu stürzen und von den Meeresdämonen verschlungen zu werden. Nichts davon geschah, die Portugiesen entdeckten weite Teile Afrikas, den Seeweg nach Indien, segelten als Erste um die Welt. Doch die Entdeckung Amerikas mussten sie Columbus überlassen, dem Italiener in spanischen Diensten. Denn Papst Sixtus IV hatte 1494 im Vertrag von Tordesillas die Welt kurzerhand in zwei Hälften geteilt – und die eine Spanien zugesprochen, die andere Portugal.

Weit da hinten im Atlantik hatte die berühmte Trennlinie ihren Verlauf. Doch kommen hier die Menschen schon viel länger zusammen. In der Nähe wurden Menhire gefunden, die man auf die Jungsteinzeit datieren konnte, also auf jene Epoche zwischen 9.000 und 1.800 vor Christus, die den Übergang vom Jäger und Sammler zum Hirten und Bauern beschreibt. Und gleichwohl das Kap weder der westlichste Punkt Portugals ist, noch der einsamste, wurden von hier aus verschiedene Gottheiten verehrt. Bis die Christen eine Kapelle für den Heiligen Vinzenz von Saragossa errichteten, dem Patron der Seefahrer. 

Nun sitzen wir hier vereint, Fremde aus allen Ländern der Welt. Der Gedanke, in eine kleine Nussschale zu steigen und hinaus zu segeln, ist weit entfernt. Doch es eint uns eine unausgesprochene Sehnsucht. Die Welt ist bekannt, sie hat einen Teil ihrer Schrecken verloren – und einige ihrer Meeresdämonen. Hinter uns stehen Autos, ordentlich aufgereiht. Leicht lässt es sich einsteigen, wenn es kalt wird, das Navigationsgerät bringt uns sicher an einen anderen Ort oder zurück in unsere Herberge.

Je tiefer die Sonne sinkt, desto stiller wird es. Wie flüssiges Gold ergießt sich das Licht über ein bleiern schwarze Meer. Ein kleines Stück noch, dann sind Sonne und Horizont vereint. Dann verschwindet das Licht, die Schatten verbinden sich mit der Nacht. Wir starren. Und träumen. Vom Wagemut der Seefahrer. Von einer Zeit, in der man nicht für die Erholung in die Boote stieg, sondern um die Welt zu entdecken. Eine Reise, die immer auch zu jedem einzelnen führte – zum eigenen Mut, an die Grenze der eigenen Vorstellungskraft. 

Und man fragt sich unwillkürlich: Was macht unsere Reise aus? 

Saudade
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die Macht des Meeres

Die kriegerischen, kühnen Heldenscharen,
Vom Weststrand Lusitaniens ausgesandt,
Die auf den Meeren, nie zuvor befahren,
Sogar passierten Taprobanas Strand,
Die mehr erprobt in Kriegen und Gefahren,
Als man der Menschenkraft hat zuerkannt,
Und unter fernem Volk errichtet haben
Ein neues Reich, dem so viel Glanz sie gaben;

 

„Os Lusíadas“, Luis de Camões

Interessiert? Hinfahren!

Der Leuchtturm befindet sich am Südwestlichsten Zipfel Europas. Von Sagres sind es ein paar Minuten mit dem Auto.

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